Nordische und hellenische Götterwelt – vereint in einem kleinen Solo als Boulevardzeitung.
Entstehungszeit: 1998 oder 1999.
BOULEVARD DER GÖTTER – ERSTER TEIL
SCHLAGZEILE -
NUN AUCH NOCH DIE LINKE LUNGE!
Kurz nach dem Bekanntwerden der gestrigen Behauptungen Prometheus', sein Intelligenzquotient sei höher als derjenige der Götter Zeus und Hermes zusammengenommen, erscholl aus dem Olymp das Urteil, Prometheus werde wegen Blasphemie nun neben der Leber zusätzlich täglich einmal die linke Lunge herausgerissen. Ein zu diesem Zweck erschaffener Schwarm Webervögel werde diese Aufgabe übernehmen.
Wie heute aus dem Tartarus bekannt wurde, reagierte Prometheus mit der größtmöglichen Empörung auf die Verurteilung und forderte die Götter Zeus und Hermes zu einem mathematischen Duell: Er, Prometheus, könne jede beliebige Wurzel im Kopfe schneller ziehen als Zeus und Hermes zusammen, selbst wenn sie parallel geschaltet wären.
Bislang war aus dem Olymp zu dieser Herausforderung keine Stellungnahme zu vernehmen, jedoch behaupten inoffizielle Quellen, der innerolympische Druck auf Zeus und Hermes, die Herausforderung anzunehmen, nehme stark zu.
Über einen Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und zwei persischen Mathematikprofessoren, die heute am frühen Morgen auf einem fliegenden Teppich über Lemnos mit Kurs auf "Nordtessalien" gesichtet wurden, besteht ebenfalls Unklarheit. Aus dem Olymp war keinerlei Äußerung hierzu zu vernehmen. Gegen fünfzehn Uhr verkündete das Orakel von Delphi dann eine offizielle Nachrichtensperre.
Weiteres zu diesem Thema, siehe die Kommentare: 'Die Tyrannei der Sprachlosen' und 'Wer schweiget, der bleibet zurück, oder, wie sich der Olymp ins Abseits stellt.'
SPORT-
Nichts Neues von hier. In dieser Form ist Achilles derzeit in sämtlichen Disziplinen unschlagbar.
FENRIRS KOCHECKE-
Also, knuspriger Götterbein-Salat in kalt gepresstem Olivenöl ist ja schön und gut, wenn man die Beine vorher kräftig gewaschen hat, aber worauf ich an Feiertagen wirklich abfahre, das ist Gallischer Schneckenmatsch. Wenn ich mit meiner Freundin, der riesigen Schnirkelschlange von Stavanger in unserem heimeligen, feuchtkalten unterirdischen Gletscher-Fjord-Loch hocke, und von draußen die absolute Dunkelheit des nordischen Winters nicht hereinleuchtet, dann gibt es für uns zwei Feinschmecker nichts Besseres. Zur Atmosphäre der Stillen Zeit passt dieser Matsch ganz ausgezeichnet, aber auch für andere Anlässe ist dieses geschmacksneutrale und vielseitige Gericht zu empfehlen.
Und so bereitet man den Matsch zu:
(1)
Man nehme gallische Weinbergschnecken (möglichst frische), enthause sie nicht (die Schale bildet eine wichtige Geschmackskomponente) und friere sie leicht an.
Menge: je nach Hunger, so viele wie möglich.
(2)
Man nehme die ausreichend erkalteten Schnecken (ihre Radulae müssen "glitzern") und lege sie auf ein möglichst flaches Plateau.
(3)
Man nehme mit festem Griff einen Berg aus Gneis oder Granit (Minimum 5 Millionen Tonnen) und zerreibe darunter die Schnecken. Ich persönlich verwende den nord-grönländischen Eisberg Gvansgnagnar, aber das ist nur eine persönliche Vorliebe. Gneis und Granit arbeiten ebenso gut. Man kann ja nicht erwarten, dass jeder Feinschmecker eine solche Menge Eis einfach so vor der Haustür lagert.
(4)
Man schabe den gut flüssigen Schleim in eine großzügig abgemessene Kasserolle und schockfriere diese bei –130 Grad Celsius.
Nach zehn Minuten die Kasserolle herausnehmen und servieren
Als Getränk empfehle ich einen wohl gekühlten 83'er Godthaber Nordhang.
DIE WITZSEITE -
Es regnet. Noah blickt von der Reling seiner Arche herab auf die vor dem Schiff am Strand versammelte gesamte Tierwelt. Hinter Noah sieht man noch einen kleinen Teil der riesigen Schwanzspitze der Midgardschlange aus dem Lagerraum hervorlugen.
Subtext: "Tut mir leid, für euch ist kein Platz mehr."
Odin sitzt wütend in einem kleinen Zelt an einem Tisch, auf dem eine Wahrsagekugel steht. Ihm gegenüber sitzt ein Wikinger in orientalischer Kleidung und starrt konzentriert in die Kugel.
Subtext: "Sie lügen!"
Newton marschiert beschwingt unter der Weltesche Yggdrasil. Ein Apfel von der Größe einer Kathedrale rast auf ihn zu. Subtitel: "Ich glaub, ich hab eine Idee!"
Ein Filmset, ein leerer Regiestuhl, auf dem der Name "Stanley Kubrick." Ein bärtiger Mann redet auf Thor ein. Im Hintergrund eine entnervte Crew und eine frierende Nackte auf einem Wikingerlager. Sprechblase: "You have to dance, Thor, to dance, not to stomp."
Subtext: "Der tausendste Take."
Ein gestresster Bräutigam, Zylinder auf dem Kopf, die verschleierte Braut auf dem Arm, versucht, hektisch rüttelnd, die Tür seines Hauses aufzusperren. Andere Häuser brennen, auf der Straße rasen Autos ineinander, Menschen laufen ziellos herum. Der Himmel explodiert. Mehrere Sprechblasen: "Ragnarök!" "Ragnarök!"
Odin steht auf einem Schiff und sieht durch ein Fernrohr aufs Meer hinaus. Mit seinem freien Auge linst er zu dem ziemlich genervt dreinblickenden Thor hinüber.
Subtext: "Das Ding scheint kaputt zu sein. Ich sehe nichts."
Uppsala-
In einem spannenden Wettbewerb errang Balder gestern Abend in der ausverkauften Stadthalle von Uppsala zum neunzig-tausendsten Mal den Titel des Mr. Gott. Der schöne Gott besiegte im Stechen Gullinborsti, den gülden-borstigen Eber, nachdem die beiden nach der regulären Ausscheidung punktegleich in Führung gelegen hatten. Nur Dritter wurde dieses Jahr Balders ewiger Rivale, der schlangenzüngige Loki. Loki kommentierte seine wiedermalige Niederlage mit der, wie jedes Jahr belachten, Prophezeiung, der Tag werde schon kommen,da er der Schönste sein werde.
Der Mr. Gott - Schönheitswettbewerb von Uppsala gilt traditionell als der bedeutendste Wettbewerb dieser Art in ganz Midgard, der Menschenwelt.
Die Gesellschaftsseite-
Thor, dieser immer-schlimme Hammer-Gott wurde verlässlichen Quellen zufolge gestern Abend auf einer supercoolen –40-Grad-Party auf der derzeitig absoluten In-Location, dem Zugspitzplatt in den Alpen gesichtet.
Offiziell heißt es, er habe dort einen diplomatischen Auftrag erfüllt, inoffiziell sagt man, es habe heftig gefunkt zwischen ihm und dem Mannweib Skadi, der Sohntochter des von den Asen höchstpersönlich beseitigten Thjazi. Bahnt sich hier eine Versöhnung zwischen Riesen und Göttern an?
Thor äußerte sich dazu in einem Interview mit bpa. Skadi sei eine gut aussehende Mannfrau, sagte er, die auch beim Steinlupfen ihren Mann stehe. Darüber hinaus besitze sie so viel Humor wie wenige und einen interessanten Charakter.
Walhall ließ in einer Pressemitteilung verlauten, die Riesen seien ein reizendes und gewichtiges Volk, und man versuche beiderseits, eventuell entstandene Missverständnisse auszuräumen. Die Zeichen stünden "eindeutig auf Versöhnung".
Lögumkloster-
Gestern stürzte bei der Einweihung einer Metzgerei in Lögumkloster der blinde Verlierergott Höd schwer. Höd soll, so berichtet bpa, nach einer Einweihung ohne besondere Vorkommnisse, beim Verlassen der Festgesellschaft über eine herumliegende Holzschaufel gestolpert, gefallen und sich den rechten Oberschenkel gebrochen haben. Der umgehend herbeigerufene Rettungsdienst verschaffte den verletzten Gott per Hubschrauber ins Zentralklinikum Odense, wo er noch am Abend operiert wurde.
Ein Sprecher des Klinikums erklärte in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz gestern Abend, der Gott der Verlierer habe einen komplizierten Bruch im rechten Oberschenkelknochen erlitten, der in einer ohne Komplikationen verlaufenen Operation geschient worden sei. Der Zustand des Gottes sei stabil, es bestehe kein Grund zur Sorge, Höd müsse sich die nächsten Tage nur noch ein wenig erholen.
Ein Sprecher Walhalls erklärte gestern Abend auf Anfrage unserer Zeitung, man werde sich überlegen müssen, Höd in Zukunft vielleicht nur noch in "leichteren" Aufgabenbereichen einzusetzen. Näher zu erläutern, worin diese Aufgabenbereiche bestünden, erklärte der Sprecher sich nicht bereit.