Wer nur einmal diese Gewalt, diese unumschränkte Herrschaft über den Leib, über das Blut und den Geist seines Mitmenschen, der so wie er selbst geschaffen ist, seines Bruders nach dem Gebote Christi gekostet hat; wer diese Gewalt und die Möglichkeit kennengelernt hat, ein anderes Geschöpf, das das Ebenbild Gottes in sich trägt, aufs Tiefste zu erniedrigen, – der hat keine Macht mehr über seine Empfindungen. Die Tyrannei wird zu einer Gewohnheit; sie hat die Fähigkeit, sich zu entwickeln, und schreitet wie eine Krankheit fort. Ich bestehe darauf, daß auch der beste Mensch infolge einer Gewöhnung so roh und stumpf wie ein Tier werden kann. Das Blut und die Macht berauschen den Menschen: unter ihrem Einflüsse entwickeln sich Roheit und Zügellosigkeit; dem Geiste und Gefühl werden selbst die unnormalsten Dinge zugänglich und zuletzt auch süß. Der Mensch und der Bürger gehen in dem Tyrannen fast immer zugrunde, und die Rückkehr zur Menschenwürde, zur Reue, zur Wiedergeburt wird ihm schließlich unmöglich. Außerdem wirken das Beispiel und die Möglichkeit einer solchen Willkür auch auf die ganze Gesellschaft ansteckend: in einer solchen Gewalt liegt etwas Verführerisches. Eine Gesellschaft, die sich solchen Erscheinungen gegenüber gleichgültig verhält, ist schon in ihrem tiefsten Kerne angesteckt. Mit einem Worte, das Recht seinen Mitmenschen einer Körperstrafe zu unterziehen, ist eine der Eiterbeulen der Gesellschaft, eines der stärksten Mittel, um in ihr jeden Keim und jeden Versuch einer Zivilisation zu vernichten, und ein ausreichender Grund zu ihrer unvermeidlichen und unbedingten Zersetzung.
Freitag, 19. Februar 2010
Aus: Dostojewski, Aufzeichnungen aus einem toten Hause
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