Mittwoch, 5. Mai 2010

Im Schatten der Königin



Im Schatten der Königin

Eines Tages kam der Wanderer in ein Land, das er noch nicht kannte. Die Gegend schien nicht bewohnt, doch das milde Klima und die sanften, grünen Wellen der Landschaft erschienen ihm geradezu herrlich, nachdem er lange Jahre durch trockene und unwirtliche Gegenden gezogen war, und so schritt er frohen Mutes in das Land hinein.
Nachdem der Wanderer eine Weile gegangen war, erreichte er eine kleine Stadt. Man nahm ihn freundlich auf, und da seine Kleidung wie auch seine Sprache und sein Verhalten ihn als einen Gelehrten auswiesen, brachte man ihn in die nahegelegene Hauptstadt des Landes. Die Königin des Landes nämlich war an Wissen und Lehre und Vermehrung derselben sehr interessiert. Ihr Land aber lag einsam, auf drei Seiten war es von Bergen umschlossen, auf der vierten stieß es ans Meer, und Handel mit anderen Ländern betrieb es nur wenig.
Die Hauptstadt war nicht eben groß und wirkte, wenn der Wanderer sie mit den anderen Hauptstädten der Erde, die er bereist hatte, verglich, einfach, schmucklos und provinziell. Doch er war ein ruheloser Mensch, und oft schon hatte er sich gedacht, ob diese Ruhelosigkeit nicht ein Zeichen seiner Erkrankung war, und er fand Gefallen an diesem ruhigen und beschaulichen Land.
Kaum war er in der Hauptstadt angekommen, da empfingen Diener der Königin den Reisenden, begleiteten ihn zum Schloss, das auf einer kleinen Anhöhe lag, und wiesen ihm ein Gemach zu. Gerne erduldete der Wanderer die Gastfreundschaft der Menschen, denn er war nun schon lange gewandert, fast sein ganzes Leben hindurch.
Am nächsten Tage erschien ein fröhlicher Junker und brachte ihn, indem er dem reisenden von seinem Lande erzählte und einige Späße machte, in den Garten der Königin.
Die Königin war jung, schön, nicht sehr gebildet, wie es dem Wanderer schien, aber klug und interessiert an allem, was ihr noch nicht bekannt war. Die Königin bat den Wanderer, ihr doch von weiten Welt zu erzählen, was der Wanderer tat, und die beiden verstanden sich gut.
Rasch verging so der Tag, und als die Königin den Wanderer am Abend verabschiedete, bat sie ihn, ob er nicht für eine Weile in ihrem Schloss bleiben möchte, als Berater vielleicht, denn die Gelehrten in ihrem Königreich seien nur wenig. Der Wanderer kam dieser Bitte der Königin gerne entgegen, denn die Natürlichkeit, die Fröhlichkeit und die Unbefangenheit der Königin, gefielen ihm, gerade, weil sie eine Königin war, sehr.
Einige Zeit verging. Es hatte nicht lange gedauert, und der Wanderer und die Königin waren einander unentbehrlich geworden, und sie sahen einander an jedem Tag. Das Wissen und die Gelehrtheit des Wanderers waren der Königin, die ihre Pflichten als Vorbild für ihre Untertanen und ihre politischen Aufgaben sehr ernst nahm, von großem Nutzen. Der Wanderer aber hatte sich heillos in die Königin verliebt, und seine Tage und Nächte, sein Wachen und Schlafen galten einzig und allein dieser Frau. Immer näher kam er ihr, denn er war zuverlässig, und das Vertrauen der Königin in ihn und ihre Vertrautheit mit ihm vertieften sich immer mehr. Oft lachten sie zusammen, und der Wanderer dachte, es war ganz so, wie Verliebte es taten. Manchmal glaubte er auch die Bediensteten tuscheln zu hören, wenn er mit der Königin zusammen war, ganz so, wie man über Verliebte tuschelt. Bald aber machte die Königin dem Wanderer auch deutlich, dass eine Liebe zwischen ihnen beiden nicht möglich sei, denn sie erwarte den einen, von dem sie gewiss sei, dass er noch kommen werde, und den sie lieben und heiraten werde. Dem Wanderer erschien diese Aussage ein wenig lachhaft, fast lächerlich, er hatte davon auch im Volke schon reden gehört, und es kam ihm vor wie ein Aberglaube, wie die halb vergessenen Überreste einer alten Sage oder Legende. Auf der anderen Seite, wenn der Prinz schon aus der Fremde kommen sollte, so konnte schließlich ebenso gut er selbst jener Prinz sein, schätzte ihn die Königin doch wirklich, wie sie beinahe täglich betonte, sehr, und gerade was seine Bildung und seine Gelehrtheit anbetraf, war er einzigartig im Land, war er einem Prinz zu vergleichen, ja überlegen sogar.
Doch er merkte schon, dass der Glaube der Königin in diese Legende tief saß. Dennoch liebte er die Königin, er liebte sie bei Tag und Nacht, im Wachen und Schlafen, sie erschien ihm wie das, was er sein Leben lang gesucht hatte, ja, er liebte die Königin bis zur Besinnungslosigkeit, und so konnte sein Ziel nur sein, die Königin zu freien und zu heiraten, und wenn es noch so lang dauerte.
Monate und Jahre vergingen, und das Königreich, seine Struktur und Verwaltung entwickelten sich. Neue Minister kamen ins Land, keiner von ihnen so brillant und beschlagen wie der Wanderer, doch jeder von ihnen war mit besonderen Aufgabengebieten befasst, und nahm damit die Zeit der Königin in Anspruch. So war der Wanderer nur noch einer von mehreren, auch wenn er sehr wohl noch spürte, dass er es war, dem die Königin am meisten vertraute, den sie am meisten brauchte und sehen wollte, und seine Liebe war so groß, und verzehrte ihn noch immer so sehr wie am ersten Tag.
Der Tag kam, da hielt der Wanderer es nicht mehr aus, und er gestand der Königin, nachdem sie vertraulich im großen Saale zu Abend gegessen, auf sehr kluge und gebildete Art ihre Liebe, und dass er es doch sein könne, auf den sie immer gewartet habe. Die Königin aber lachte, und erklärte dem Wanderer, dass er ihr erster und unschätzbar wertvoller Minister sei, dass der, den sie liebe aber noch kommen werde, das sei festgeschrieben schon seit langer Zeit. Traurig zog der Minister sich daraufhin zurück, traurig und nachsinnend darüber, wie er sie von der Richtigkeit seiner Überlegungen überzeugen konnte.
Dann kam der Tag, an dem im ganzen Lande Musik erscholl, und es hieß, ein fremder Fürst sei in das Land eingedrungen und befinde sich auf dem Weg zur Hauptstadt. Aufgeregt ließ die Königin den Wanderer rufen, und hieß ihn, alles im Schloss für das große Fest vorzubereiten. Der Wanderer, misstrauisch, empfahl der Königin, doch erst einmal abzuwarten, bis der Fremde eintraf, und dann herauszufinden, welche Motive ihn trieben. Für ihn habe sie schließlich auch kein großes Fest gegeben. Doch die Königin ging auf die Argumentation des Wanderers gar nicht ein, rief, das Schloss solle schön sein wie nie zuvor, wenn der Fremde eintreffe, eilte an die Brüstung des Schlosses und sah hinaus auf ihr Land, ob von dem Fremden nicht schon etwas zu sehen sei.
Argwöhnisch und verstimmt tat der Wanderer, wie ihm befohlen, denn es erschien ihm unsinnig, für jemanden, den er nicht kannte, ein großes Fest auszurichten. So befolgte er auch die Befehle der Königin zum ersten Male nicht sehr genau, ließ nur gewöhnlichen Schmuck aufziehen, ließ weniger Essen zubereiten als die vermutlich benötigte Menge, auch schlechteres Essen, und tat alles, was ihm sein Missmut sonst noch eingab.
Schließlich traf der Fremde in der Hauptstadt ein, und sogleich sandte die Königin Boten aus, ihn auf das Schloss zu geleiten, und sie erwartete ihn voller Ungeduld im nur notdürftig geschmückten Großen Saal. Als der Fremde in das Schloss trat, da ging ein Raunen durch die Dienerschaft, durch die Minister und Edelleute der Königin, denn der Fremde war groß und stark und schön, ein Mann wie eine mächtige und uneinnehmbare Festung, und sein Lachen durchmaß den Saal wie ein Sturm und zerschmetterte die Hoffnungen des Wanderers mit einem Schlag, und es ließ den Gelehrten klein wie ein altes, hölzernes Spielzeug zurück. Als der Wanderer aber zu der Königin aufsah, die nun lachte und strahlte und schön war wie niemals zuvor, da wusste er, dass der Fremde der Mann war, auf den sie immer gewartet. Sie setzte den Fremden an ihre Seite, und das ganze Land jubelte über das glückliche Paar. Der Wanderer aber, gewahrend, was er vorher nicht wahrhaben wollte, packte, leise weinend vor Anklage und Schmerz, seine Siebensachen, verließ das Schloss, und begab sich verkleidet, damit ihn niemand erkenne, noch am selben Tag über die Grenze.