Aus Timo Schmidt-Boelkes Notizheften:
Der einsame Duscher
Eine Gruppe Urmenschen wird tagtäglich vereinnahmt von dem gnadenlosen Kampf um ihr Überleben. Mal fangen sie einen alten Säbelzehntiger, mal erfrieren sie halb vor Kälte, mal bringt die Sonne sie an den Rand des Verdurstens, mal sterben sie beinah vor Hunger, ohne dass sie Gründe für die vorangegangene Hungerszeit finden könnten.
In der Nacht, wenn sie niedergeschlagen ihrer verängstigten Träume harren, hören sie beinah jeden Tag das seltsame Geräusch plätschernden Wassers, nicht vielen Wassers, aber immerhin das einer ganzen Anzahl von Tropfen, die vereinzelt oder in Gruppen, auf eine merkwürdig klingende Unterlage treffen.
Nacht für Nacht hält die Angst sie wieder zurück, dem unheimlichen Geräusch nachzugehen, doch jede Nacht wagen sie sich weiter zum Ausgang ihrer Höhle und schließlich darüber hinaus. Was kann es nur sein? Ein Gott, ein Ufo, ein wildes Tier? Wieder und wieder kommen die Nächte, und irgendwann lässt ihnen die Neugier keine Ruhe mehr. Als das Plätschern einsetzt, strömen sie mutig aus und finden die Ursache hinter einem kleinen Gebüsch ganz in der Nähe. Von irgendwoher beleuchtet, steht ein Mann deutlich sichtbar in einer Lichtung unter der Dusche. Er mag vierzig sein, ist weißer Hautfarbe, hat einen deutlichen Bauch und ist riesengroß. Sein Blick geht ins Leere und sein Gesichtsausdruck wird den Urmenschen unvergesslich bleiben. Es ist ihm alles gleich. Genausogut könnte er auch sterben.
Kriege werden kömmen, Krankheiten, Katastrophen, doch den Gesichtsausdruck dieses Mannes werden die Urmenschen nie wieder vergessen.