Erster größerer Versuch einer Prosa im Drehbuchstil, anno '99 ungefähr.
Die 8 Ixe
I
Es ist noch nicht lange her, da galten die 8 Ixe als unangefochten großartigstes Forschungsteam der Welt. Vierzig Jahre ihres Lebens hatten die acht Brüder damit verbracht, das Wissen der Menschheit zu erweitern, unerhörte Erfindungen zu tun, Erkenntnisse zu gewinnen, die kein Mensch jemals zuvor gewonnen, Forschungsarbeiten in unfassbarer Zahl zu veröffentlichen, und auf diese Weise das Leben der Menschheit zu erleichtern und ganz allgemein lebenswürdiger und sicherer zu gestalten.
Vor etwa zehn Jahren waren die 8 Ixe in dem guten Gefühl, eine besser gewordene Welt zu verlassen, von der beruflichen Bühne abgetreten. In alle Himmelsrichtungen hatten die Brüder sich seither zerstreut.
x1, immer schon Boss und Anführer der Ixe, hatte sich aus verschiedenen Gründen in Chicago niedergelassen. Einer dieser Gründe war der CTC, ein exklusiver Tennisklub, in dem x1 fortan seine Leidenschaft für den eleganten Sport pflegen und seine vorzügliche Schlagtechnik weiter verfeinern wollte.
Und so tat er es auch an jenem milden Frühsommertag, als das nun folgende Abenteuer begann. Er fühlte sich, wie so oft schon in diesem Jahr, großartig, er spielte gerade ein Einzel gegen seine Freundin Berenice, und eben hatte er eine flinke Vorhand geschlagen, wie selbst ein langjähriger Profi sie besser kaum hinbekam. Berenice, eine fröhliche Brünette, hüpfte mit lautem Lachen der Filzkugel hinterher.
Einige Bekannte, die zufällig gerade auf der Tribüne saßen, klatschten Beifall. Seine Freundin hatte den Ball nicht mehr erreicht.
"Okay, x1." rief Berenice. "Der Satz geht vielleicht an dich. Aber jetzt kommt die REVANCHE!"
x1 musste lachen. Er schlenderte zu seiner Tennistasche und wischte sich mit einem Clubhandtuch den Schweiß vom Gesicht. In dem Moment piepte sein Video-Handy. Er holte es aus der Tasche und schaltete auf Empfang.
Auf dem Bildschirm erschien Jackson, der Chef des Instituts in Boston. Jackson war ein alter Mann, schmal, ergraut und mit wirrem Haar, doch in seinen Augen funkelten Intelligenz und so etwas wie ein verschmitztes und schalkhaftes Lächeln. Bevor x1 in Rente gegangen war, waren er und Jackson beste Freunde gewesen. An diesem Tag hatte x1 schon seit Jahren nichts mehr von dem Alten gehört.
"Mein Gott, Jackson!" rief x1 überrascht und wischte sich ein zweites Mal das Gesicht.
"Na, x1, immer alles roger bei dir?" fragte Jackson.
"Ich kann nicht klagen, Jackson. Bin immer noch fit. Was machen Frau und Kinder?"
"Danke, alles roger bei mir daheim." antwortete Jackson und hüllte sich für einige Momente in Schweigen.
x1 wurde stutzig. Jackson hatte schon bei der Begrüßung ein wenig kleinlaut gewirkt, doch dass er nun auch noch schwieg, war mehr als außergewöhnlich, denn Jacksons Redseligkeit war legendär und bis weit über die Grenzen der USA hinaus bekannt.
"Was ist los, Jackson? Ich kenn dich doch." sagte er. "Wenn du so lange nichts sagst, dann gibt's Probleme im Institut. Stimmt's oder hab ich recht?"
"Wie immer hast du recht, x1." antwortete Jackson aufseufzend. "Wir haben hier Probleme, die du dir gar nicht vorstellen kannst! Und das nicht bloß in Boston, sondern eher weltweit..."
"Na, dann schieß mal los." x1 verschränkte die Arme und lehnte sich an den Stamm der alten Douglas-Tanne hinter seiner Tasche. "Ich bin ganz Ohr, Mann."
Von der anderen Spielhälfte rief Berenice herüber.
"Was ist los, x1, kriegst du die Flatter?"
"Wart's nur ab!" rief x1 zurück. Er zog eine Dose Freudalizers aus seiner Tasche, schluckte eine der Tabletten und warf die Dose zurück. Er wandte sich wieder dem Telefon zu.
"Okay, Jackson, bin wieder da. Also, was gibt's?"
Das Problem, das Jackson nun in kurzen und nur ein wenig umständlichen Worten darlegte, war folgendes:
Das weltweite tektonische Überwachungs- und Protektionssystem, welches die 8 Ixe vor langer Zeit konstruiert und programmiert hatten, TÜUP genannt, schien urplötzlich fehlerhaft zu sein. Seit Jahrzehnten gehörten Erdbeben, Vulkanausbrüche und ganz allgemein jede Art von Erdbewegung dank dieser raffinierten Konstruktion der 8 Ixe nun bereits der Vergangenheit an. Doch in den letzten Wochen häuften sich beunruhigende Fehlermeldungen...
x1 war im Verlauf von Jacksons Schilderung ernst geworden.
"Du meinst, es könnte ein Programmierfehler sein?" fragte er jetzt.
"Nein, nein," beteuerte Jackson, "eure Arbeit war perfekt, eine unerreichte technische Meisterleistung, aber seid ihr in Rente seid… Ich fürchte, irgendjemand, der nach euch kam, hat Mist gebaut."
x1 presste die Lippen zusammen und sah voll Sorge zu Berenice, seiner nichtsahnenden Freundin hinüber. Sie spielte gerade mit einem Eichhörnchen. Voll Sorge aber gedachte er auch der Welt und der Menschheit im Allgemeinen. Das TÜUP war für die Menschheit von essentieller Bedeutung.
Jackson fuhr mit seiner Schilderung der Lage fort und zählte einige weitere Symptome auf. Sie waren völlig zurecht besorgniserregend und wiesen auf nicht weniger als eine globale tektonische Krise hin:
· In Südamerika hatte letzte Woche die Erde gebebt und Millionen von Menschen getötet.
· Das ganze Gebiet linksseitig des San Andreas-Grabens neigte sich seit einiger Zeit bedrohlich nach Westen.
· Der Rheingraben in Deutschland zeigte plötzlich Risse. Eine Absenkung desselben drohte. Dies würde unter anderem die Transrapidtrassen für Truppenbewegungen zerstören und zusätzlich eine politische Krise auslösen.
Doch damit war Jackson noch immer nicht fertig.
"Der Fuji-Rücken ist auch betroffen." fuhr der alte Mann fort. "Kennst du zufällig die Izu-Inseln?"
x1 schüttelte den Kopf.
"Dann denk lieber erst gar nicht dran!"
Jackson schnaubte deprimiert und legte eine Pause ein.
x1, der die Daten bereits überdacht hatte, war ehrlich betroffen.
"Das hört sich noch schlimmer an als damals, als wir noch kein TÜUP hatten." sagte er.
"Aber da ist noch was, x1." fing Jackson nochmal an. "Du kennst doch das Magmadepot unter dem Yellostone-Park."
"Klar." antwortete x1. "Früher eine tickende Zeitbombe."
"Vielleicht inzwischen wieder, Mann. Der Kerndruck dort steigt nämlich seit Wochen. Wir befürchten das Allerschlimmste."
x1 dachte an die Grizzlies. Er und Jackson liebten Grizzlies. Viele gemeinsame Urlaube hatten sie in der Wildnis des Yellostone-Parks verbracht, und hatten Elche, Kaninchen, Erdhörnchen und mit Vorliebe Grizzlies beobachtet.
"x1!" rief Jackson eindringlich. "Uns droht hier eine echte Katastrophe, und das TÜUP arbeitet definitiv nicht mehr zuverlässig. Wir sind inzwischen so weit, dass wir uns wieder auf manuelle Messungen verlassen müssen!"
"Und was ist mit euren hochqualifizierten neuen Robotern und Ingenieuren?"
"Sie haben keine Ahnung, x1."
x1 überlegte. Er ahnte, dass Jackson ihn und vermutlich auch die anderen Ixe um Hilfe anhauen wollte. Aber hundertprozentig sicher war er sich nicht.
"Was willst du jetzt machen?" fragte er knapp.
"Ich brauch die Ixe, x1!" brach es aus Jackson heraus. "Und nicht nur einen, sondern euch alle. Offen gestanden, glaub ich, dass ihr die einzigen seid, die uns überhaupt noch helfen können."
"Okay," sagte x1, der seine Entscheidung ohnehin bereits getroffen hatte, "ich trommel meine Leute schnellstmöglich zusammen. Nebenbei, habt ihr schon die Trimmer der 3D-Koordinatenzähler überprüft?"
"Kann ich nicht sagen, x1. Du weißt doch, ich bin ein superber Linguist, aber von Technik versteh ich nicht das Geringste."
"Gut," antwortete x1, "dann leite das mal an die Ingenieure weiter. Ich kümmer mich solang um die Ixe. Bau du in der Zwischenzeit eine Krisenzentrale auf. Ich will keine Probleme mit eurer verfilzten Verwaltung. Und schick mir so bald wie möglich alle verfügbaren Daten über die Erde und das TÜUP via Turbo-E-Mail."
Jackson nickte erleichtert. x1 steckte sein Handy ein und überquerte mit seiner Tasche den Tenniscourt.
"Hörst du denn schon auf, x1?" rief Berenice enttäuscht.
"Das war Jackson vom Institut in Boston. Es gibt Probleme."
"Dauert das lange?"
"Weiß nicht. Ich ruf dich an."
Die beiden küssten sich kurz und verliebt, und schon strebte x1 bereits dem Klubhaus entgegen.
Noch ein wenig später verließ x1, geduscht, gekämmt, im Zweireiher und mit wehendem Trenchcoat durch den Straßeneingang das Klubhaus. Ein Taxi wartete bereits, doch erst hatte x1 sich noch durch eine Ansammlung wissensdurstiger Reporter zu kämpfen.
"Was sagen sie zum Korruptionsverfahren gegen die politische Opposition, x1?" rief der erste der Journalisten.
"Gut!" antwortete x1, der im Spiel mit der Presse bestens eingeübt war, rundheraus.
"Was halten sie von der politischen Situation im allgemeinen?"
"Mittel."
"Wie ist ihre Meinung zu Piercings, x1?"
"Ultraschlecht."
"Wie finden sie die Modetrends für die Frühlingssaison?"
"Gut, besonders das viele rosa."
"Was sagen sie zu den Beben in Südamerika?"
"Kein Kommentar."
"Wie finden sie die 27 Heinemanns?"
"Was soll ich von den Heinemanns schon halten!"
"Die 27 Bakers?"
"Nicht der Rede wert."
"Die 27 Ramirez?"
"Fabelhaft!"
Die Reporter lachten. x1 war weltbekannt als fanatischer Fan und persönlicher Freund der 27 Ramirez, den amtierenden Baseball-Weltmeistern.
x1 hatte die Taxe erreicht. Er warf seine Tennis-Tasche auf den Rücksitz des Fahrzeugs und kletterte ihr hinterher.
"Zum Flughafen." befahl er und schlug die Tür zu. Einige Reporter klopften noch gegen das Fenster, doch der Chauffeur hatte bereits Gas gegeben, und das Taxi brauste bereits davon.
x1 lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er ließ seine Gedanken schweifen.
"Es geht mir gut," überlegte er, "darüber besteht keinerlei Zweifel. Worüber auch sollte ich mich beschweren? Und überhaupt: Ging es mir früher denn schlechter? Mein Arbeitsleben als Ingenieur in einem der gefragtesten Entwicklungsteams war erfüllt. Ich selbst, der ich mehr oder weniger Leiter der Gruppe war, sollte das beurteilen können. Oft erstickten wir in Arbeit. Washington, LA, Rio, Kapstadt, Ottobrunn, Moskau, Shanghai. Aufträge in der ganzen Welt. Mannomann, und nichts davon war ohne Bedeutung. Und dann der ganze Ruhm. Auch der war im Nachhinein ja durchaus angenehm. Empfänge bei wichtigen Prominenten, Titelstories in Chip, Happy Computer, Management Feel, Die Führungskraft, Entrepreneur extra, Das Hummer-Magazin, Grizzly-Freund...- und dabei sind wir Ixe immer ein Team geblieben – es war die Basis unseres Erfolgs… Ich frag mich, was die anderen Ixe überhaupt machen. Es ist Jahre her, seit ich sie das letzte Mal gesehen hab. x2/3, so hört man, sollen mit jedem Tag reicher werden, angeblich steuern sie inzwischen auf die erste Billion zu, x8 bastelt vermutlich immer noch an seinen elektronischen Rittern, x4 überquert in seinem Lufthaus die Welt, recht hat er. x5 auf seiner Farm, da hat sich wohl nicht viel getan, die Rinderzucht, heißt es, verläuft ziemlich gleichmäßig, x6, natürlich, predigt noch immer sein Evangelium, und x7..., jaha, haha, x7 war immer der ausgeflippteste von uns allen, "das schnellste Händchen westlich des Missisippi"…"
x1 sah versonnen aus dem Fenster. Er lächelte und schloss:
"Wenn man der Presse glauben darf, gilt das inzwischen wohl auch für den Osten."
II
Nur wenige Stunden später waren sieben der 8 Ixe bereits vereint und standen inmitten der langsam aus dem Häuschen geratenden Zuschauermenge des alljährlichen DJ-Wettbewerbs von Casablanca. Für ihr tatsächliches Alter von 79 Jahren machten alle sieben dieser Herren einen erstaunlich rüstigen Eindruck. Ihr graues Haar war voll wie das eines jungen Mannes, ihre Kinngrübchen waren markant wie das von Kirk Douglas.
x7 befand sich als amtierender Champion auf der von Stroboskopen beflimmerten Bühne und lockerte sich zusammen mit seinen Wettbewerbern in komplizierten Bewegungen die Finger.
Wie alle anderen Anwesenden fühlten die Ixe sich mitgerissen von der brodelnden Atmosphäre dieser absoluten Spitzenveranstaltung. Andererseits warfen sie sich aber auch immer wieder genervte Blicke zu. Ein penetranter DJ-der-es-nie-geschafft-hat erklärte ihnen nun schon viel zu lang, und überflüssigerweise, die komplizierten Hintergründe dieses Spektakels.
Ohne auch nur mal eine Pause einzulegen, laberte der Möchtergern-DJ, ein gedrungener 50-jähriger mit wenigen und viel zu langen Haaren, auf die 7 Ixe ein:
"Ihr mögt ja vielleicht schon Leute gesehen haben, die sich beim Scratchen von CD`s die Finger verbrannt haben. Bei dem Typen da oben kann euch das garantiert nicht passieren! Der steht ausschließlich auf Schellacks und Vinyl!"
Die Ixe atmeten auf. Endlich erlosch die Deckenbeleuchtung, Spots flogen an und der Wettbewerb, eine einseitige Angelegenheit, die in wenigen scharf geschnittenen, mit fetzigen Hyperbeats unterlegten Zeitlupen-Snapshots gezeigt wird, begann.
x7 ließ seinen Herausforderern, Robot-DJ's und -Androiden neuester Bauart, keinen einzigen Stich. Egal ob "Platten-aus-einer-rutschfesten-Gummi-Hülle-ziehen", "Platten-fünfmal-umdrehen-und-dann-die-Nadel-draufdonnern-lassen", "Platten-in-Natronlauge-einlegen-und-wieder-herausziehen" oder der beliebte "Rock-und-Pop-Mix", x7's Überlegenheit in sämtlichen Disziplinen war zu keinem Zeitpunkt gefährdet, und in Windeseile hatte er seinen Meistertitel verteidigt.
Kurze Zeit später saßen die Ixe, von x7 eingeladen, im Innern einer riesigen roten Couchrotunde, zusammen mit einigen Freundinnen, die sie im Publikum kennengelernt hatten. Der Möchtgern-DJ von vorhin saß ebenfalls mit dabei, auf einem Barhocker, den er sich selbst herangezogen hatte. Trotz elegantester Bemühungen hatte der Typ sich nicht abschütteln lassen. Auch jetzt versuchte er wieder, das Gespräch an sich zu reißen.
"Deine Technik, x7," krächzte er heiser und fuchtelte mit den Armen, "deine Technik, Mann! Einfach unbeschreiblich, DER WAHNSINN! ...einfach WSSSS, FSSSS, BRRRMMM. Mann, x7, du bist echt der Beste, und, ich bitte recht schön, wer könnte das besser beurteilen als ich?"
Doch niemand beachtete mehr diesen Menschen, der sich Lern-DJ Holger nannte, und anscheinend aus Frankfurt stammte. Er war betrunken, und wiederholte sich schon seit geraumer Zeit ununterbrochen.
Die Ixe und ihre Freundinnen dagegen hatten sich einiges zu erzählen.
"Und du, x8, du baust wirklich Ritterroboter?" fragte die hübsche Ivette.
"In der Tat, ja, echte Ritter." bestätigte x8. "Die können fast alles-"
"Du musst ihr den Gag erklären!" riefen x2/3 lachend dazwischen.
Doch x8 ließ sich nicht beirren.
"Also, sie können reiten, Speere werfen, die Knie beugen-" fing er an.
"Erklär ihr den Gag!" riefen x2/3 noch einmal.
"Schwertkämpfe austragen, höfische Tänze, durch Schießscharten spähen-"
"Den Gag, Mann, den Gag!"
"Ja, was ist das für ein Gag?" fragte Ivette, inzwischen neugierig geworden.
Endlich gab x8 nach. "Na schön, wenn ihr unbedingt wollt, dann also den Gag." sagte er, und begann so konzentriert zu erklären, als hielte er einen Vortrag an der Universität:
"Es verhält sich nämlich so, dass meine Ritter alle telefonieren können. Ich hab jedem von ihnen individuelle Handys gebaut, aus Gusseisen, die ziehen sie einfach so aus der Rüstung, und schon können sie telefonieren. Die Dinger sind ein paar Kilo schwer, aber mit ihren Hydraulikarmen ist das für meine Ritter kein Problem. Auch nicht, wenn sie mal einen schnellen Espresso brauchen. Eine kleine Kaffeemaschine ist in jedes Handy mit eingebaut."
"Das ist ja entzückend!" riefen die Mädchen und klatschten in die Hände.
Kurz darauf, als die Runde sich wieder beruhigt hatte, setzte die gutaussehende Natalia sich auf:
"Und du, x4, du segelst durch die Luft, einfach so, das ganze Jahr?" fragte sie.
"Klar, Baby." erklärte x4, der dunkelhäutiger war als seine Brüder. Er war Farbiger, und seine Vorfahren stammten aus Afrika. "Auf die Art liegt mir die Welt jeden Tag aufs Neue zu Füßen. Die frische Luft, das Knattern der Segel bei scharfen Wendemanövern, was Besseres gibt's gar nicht. Ich sag immer: Ein paar Fässer vom besten Wein und meine Luftvilla, mehr brauch ich nicht."
Begeistert stimmten die Mädchen x4 und bestätigten sich, einander zunickend, ihre Meinungen gegenseitig.
Ein Kellner kam heran, und alle bestellten frische Getränke. Dann ergriff die rassige Isetta das Wort.
"Eine Villa über den Alpen oder den Anden, ecco, was will man mehr, frage ich euch! Aber auch, frisch gemolkene Milch auf einer Veranda in Texas zu trinken, serviert von einem ansprechenden Jüngling wie x5, mmh, was für ein romantischer Gedanke für einen kurzen Urlaub. Und als Ausblick eine Herde von 12000 biologisch gefütterten Rindern!"
Lächelnd hob Isetta ihren Campari in Richtung x5, der ihr mit seiner Bierdose zuprostete.
"Brauchst es nur zu sagen, Schätzchen, ein paar Steaks und was zu trinken gibt's bei mir immer im Kühlschrank!"
x5 wirkte wesentlich jünger als die anderen Ixe. Der Grund hierfür lag in seinen guten Beziehungen zum Senat in Washington. Vor wenigen Jahren hatte dieser ihm eine körperliche Verjüngung zugestanden, ein Privileg, das, staatlich reglementiert, bisher nur wenigen Menschen zugeteilt worden war. X5 war nun wieder ein strahlender Jüngling von 25 Körperjahren, mit dem wettergegerbten Teint eines Mannes, der bevorzugt im Freien und auf Steinen schläft. Er holte ein Foto aus seiner befransten Lederjacke.
"Das ist Carlito." sagte er, und reichte das Foto herum. "Ein Jungbulle."
"Mu-muuh!" machte das Foto. Entzückt ließen die Mädchen sich über das knuddelige Rind aus.
In der Zwischenzeit kamen vom Bühnenausgang zwei Roboter heran. Es waren Gringo und El-Al, die besten Robot-DJ's der Gegenwart. Sie reichten x7 anerkennend die Pfoten.
"Gratuliere, Mann." brummte Gringo. "Warst der Beste heute, muss ich neidlos anerkennen."
El-Al schwärmte im breiten Akzent. "Wie du die Platten in die Tunke tauchst, Mann."
Und fügte mit bleckenden Zähnen hinzu. "Eine Augenweeeide!"
"Danke, Leute, danke." stammelte x7 errötend, und schaute durch seine coole lila Schutzbrille zur Seite.
"Übrigens," brummte Gringo beiläufig, "deinen Monteverdi-Remix, kann man den irgendwo käuflich erwerben?"
x7 steckte den beiden zwei Mini-Vinyls zu. Die Roboter bedankten sich und zogen ab.
Jetzt setzten sich die Zwillings-Models Dunja und Dobrilla räuspernd auf und wandten sich an x2/3.
"Und ihr, x2/3?" fragten sie schüchtern. "Seid ihr tatsächlich so wohlhabend, so sagenhaft reich, wie die Wirtschaftspresse alle paar Tage schreibt?"
x2/3 lagen entspannt in ihren Kissen. Dick und wohlgenährt, tranken sie aus großen Krügen Scherbet on the rocks.
"Jepp, das stimmt." gluckerten sie zufrieden doch ohne Selbstbeweihräucherung. Sie hoben ihre Krüge und prosteten sich zu.
"Übertrieben ausgedrückt," meinte x8, "könnte man sagen, dass ihnen Kalifornien gehört, neben ein paar anderen, nicht ganz so bedeutenden Immobilien."
x2/3 nickten zustimmend.
"Und sie sammeln Trinkgläser." rief x1. "Ob ihr's glaubt oder nicht. Die beiden haben die größte Trinkgläsersammlung der Welt. Hinter San Francisco gehört ihnen ein ganzes Dorf, das ist voll mit Trinkgläsern!"
"Hey! Wow!" riefen die Mädchen ausnahmslos beeindruckt, und Dunja und Dobrilla schmiegten sich näher an x2/3 heran.
Nun fehlte noch x6.
"Und was machst du, x6?" fragte die gut gebaute Vera. "Bist du auch ein Super-DJ, so wie x7, oder hast du den Überblick, und bist ein Mann für alles und fürs Ganze, so wie x1?"
"Ganz im Gegenteil, >>Vera<6 kurz angebunden und starrte über den Tisch hinweg. Er schien sich ausschließlich für die schicke Bedienung auf der anderen Seite der VIP-Lounge zu interessieren.
"So, was predigst du denn?" fragte Vera ein wenig gereizt. "Die Visionen eines Helmut Kohl, eines Karl Marx - oder eines Henri Bergson vielleicht?"
x6 wandte sich mit einer eleganten Drehung des Oberkörpers von der Bedienung weg und sah Vera tief in die Augen.
"Ich predige ausschließlich das, was wichtig ist, Baby, verstehst du? Ich predige die Wahrheit. Und die Wahrheit ist, dass alles eins ist."
"Alles eins?" fragte Vera.
"Ja, egal, ob hier oben in Nordafrika oder in Indien oder im Kanton Graubünden, was übrigens in der Schweiz liegt. Alles hängt mit allem andern zusammen. Eben deshalb ist alles eins, verstehst du? Alles ist eins, alles ist eins, allesisteins, allesisteins, allesisteins, alles ist eins, AL-LES-IST-EINS!"
"Du hast ja so recht, Mann!" flüsterte Vera, mit einem Mal wie verzaubert, und warf sich x6 mit glänzenden Augen an die Brust. "Du hast ja so recht!"
x8 schüttelte lachend den Kopf.
"Wie schafft er das nur immer wieder." rief er, und die anderen Ixe kicherten sich gegenseitig zu. x6 zwinkerte lässig zu ihnen allen rüber und legte seinen Arm um Veras schmale Schultern.
Jetzt erhob x1 sich entschlossen und sah auf seine mehr als edle Swatch-Armbanduhr. "Okay, Leute." sagte er. "Ihr wisst, wir haben's eilig. Verabschiedet euch von den Mädels, und dann ab zum Flughafen. Die Zeit drängt."
Die Kamera fing noch einmal die Blicke der Brüder ein, die mit einem Schlag von aller Lax- und Lässigkeit abließen.
Bereits eine Szene später saßen die Ixe, in Aktenstudien vertieft, im Express-Jet von Casablanca nach Boston in Massachusetts, denn die entspannte Episode hatte die Helden dieser Erzählung nur kurz von der Ernsthaftigkeit ihrer Mission abgelenkt. Es ging um nichts weniger als den Fortbestand der wahrscheinlich halben Menschheit, das wussten sie bereits, und die Zeit wurde knapp...
IX
Es dauerte noch einige Wochen, bis die 8 Ixe auch die allerletzten Tests am TÜUP durchgeführt hatten und endgültig vermelden konnten: Die Welt war gerettet.
Die Menschheit veranstaltete rauschende Siegesfeiern auf sämtlichen Kontinenten, und man feierte unsere Helden entsprechend ihren Verdiensten gleichsam wie Übermenschen.
Dann langsam trennten die Wege der Brüder sich wieder, und sie kehrten zurück in ihre individuellen Lebensentwürfe. Eine letzte große Würdigung fand einige Wochen später bei einer großen Open Air-Veranstaltung in Chicago statt, bei der neben dem US-Präsidenten, einer UN-Delegation mit Vertretern aller Kontinentalplatten und einigen anderen Prominenten allein x1 noch geladen war. Nach einer bedeutenden Rede bat der Präsident das letzte verbliebene x auf die Bühne. Wild brandete der Applaus einer halben Million Menschen auf.
Noch einmal nahm x1 diese Huldigungen entgegen, die letzten in einer Reihe von vielen, beinahe unendlich vielen, wie es ihm schien. Später machte er sich allein und voll tiefsinniger Gedanken auf den Weg nach Hause.
Es schlenderte gerade an den Anlagen seines Tennis-Clubs vorüber, als er Berenice auf dem Centre Court erblickte, fast so, als ob sie die ganze Zeit auf ihn gewartet hätte.
"Was ist jetzt mit der REVANCHE?" rief sie ihm aus der Entfernung zu.
Lachend hielt x1 inne und rief: "In 10 Minuten!"
Er stürmte ins Clubhaus und betrat kurz darauf umgezogen den Centre Court. Er bemerkte eine zweite Schönheit, die seiner Freundin zur Seite stand. Es war Mandolela, die Neutronenpsychologin, mit der er fast mal was gehabt hätte. Sie trug einen hautengen Tennis-Overall und lächelte x1 geheimnisvoll an.
Da gedachte x1 des Glücks seiner Lage, servierte einen nicht returnierbaren Aufschlag, und die beiden Frauen liefen quieksend seinem Ball hinterher.