Geradlinige Erzählung, ganz ohne Aufhänger, was beim Verfasser nicht eben oft vorkommt. Entstehungszeit, dem Soundtrack nach zu urteilen, 1998/1999.
Mit Marianne
Der Schauplatz der Geschichte ist ein Cafe in der Schellingstraße. Von den zehn kleinen Tischen ist gut die Hälfte besetzt. Man unterhält sich leise. Die Musik kommt von den BuenaVistas. Ihre CD mit kubanischen Songs läuft schon geraume Zeit in der kleinen Cafeanlage.
An einem der Fenstertische sitzt die hübsche Steffi mit besorgtem Blick. Irgendwas ist passiert letzte Nacht. Das spürt sie.
Steffi gegenüber sitzt Marianne, die nicht aufhört mit dem Zuckerstreuer zu spielen, und die mit leerem Blick auf die dunkle, zerkratzte Holztischplatte starrt.
Steffi spricht weiter. ”Hast du Erik und Heidi knutschen gesehen? Und mir heult sie vor, dass sie ihn rausschmeißt.”
Heidi und Erik hatten seit Wochen Knatsch wegen einer angeblichen anderen. Nur bis gestern anscheinend. Mariannes grübelnde Mundwinkel rutschen ungefähr dreieinhalb Millimeter nach oben, was wohl so viel wie ein Lächeln bedeutet. Sie sagt aber nichts.
Es muss mit Rosis Party gestern zu tun haben, denkt Steffi sich, und mit dem Typen vom Büffet, aber Marianne rückt und rückt nicht raus damit. Marianne ist sonst auch nicht unbedingt eine Plaudertasche, aber heute ist kein Wort aus ihr rauszukriegen.
Marianne seufzt vorsichtig und streut zum dritten Mal Zucker auf ihren Cappucino, der in dem schon langsam weich werdenden Sahnebatzen versinkt.
Steffi betrachtet ihre Freundin und sieht ein, dass ihre Bemerkung nicht angekommen ist. Marianne beschäftigt sich weiter mit Tischplatte und Zuckerstreuer. Ganzschief und verspannt sitzt sie auf ihrem Stuhl und bewegt sich keinen Millimeter. Sie hat auch ihren Mantel noch an. Dabei ist es eher warm ist im Cafe.
Steffi sieht zum Fenster raus. Gestern hat der Winter begonnen. Am Abend war's plötzlich grau geworden, kühl war’s am Nachmittag schon gewesen, in der Nacht waren der Regen und die Kälte gekommen.
Auf der Schellingstraße draußen herrscht Stau. Es ist düster wie in der Dämmerung, obgleich es erst halb vier ist. Es regnet. Die Bremslichter spiegeln sich auf der nassen Straße, die Autoschlange fährt los, ein paar Meter weiter gehen die Bremslichter wieder an und die Autos bleiben stehen.
Steffi und Marianne kennen sich schon seit dem Wolfratshausener Kindergarten. Steffi wohnte damals ganz in der Nähe von Mariannes Haus, in dem sich auch der Kramerladen von Mariannes Eltern befindet. Steffis Eltern sind Lehrer am Gymnasium. Seit damals waren sie eigentlich immer Freundinnen gewesen, hatten auch immer dieselben Klassen besucht.
Vorm Fenster gehen die Leute mit aufgespannten Regenschirmen vorüber, rempeln sich ungeschickt gegenseitig damit an, entschuldigen sich, gehen weiter. Die ohne Schirm laufen zum nächsten Bushäuschen, oder sie haben’s schon aufgegeben und marschieren im Stechschritt mit aufgeschlagenen Krägen und hochgezogenen Schultern vorbei.
Marianne hat ihren Löffel genommen und steckt ihn vorsichtig in den Cappucino. Der Bonuskeks liegt noch auf der Untertasse.
”Wann gehst du denn jetzt zum Friseur?” fragt Steffi.
”Ach, ich weiß nicht..”Marianne antwortet leis und rührt um. Ihre Frisur ist ein Thema,das die beiden schon seit Jahren beschäftigt. Marianne hat ein sehr breites Gesicht, und ihre Omadauerwelle macht es ungefähr nochmal doppelt so breit. Und dann hat sie zu dünne Haare, die, wenn sie länger werden, furchtbar unschöne Strähnen bilden.
”Was Kurzes, Flottes würde dir so gut stehen!” sagt Steffi.
”Ja, ich weiß schon..”Marianne kneift ihre Lippen zusammen, und wiegt ihren Kopf kurz nach links, nach rechts und wieder zurück, so, als sei die Frage ihrer Frisur zwar eine Erwägung wert, im Moment aber keinesfalls zu lösen. Am Ende wäre es also nur müßig, darüber zu diskutieren.
”Oder sollen wir mal zusammen gehen?”fragt Steffi weiter.
”Ich weiß nicht. Ich muss soviel lernen.”
Die Antwort eben hat Marianne nur versehentlich und nur aus ihrer Unsicherheit heraus so betont, als bedeute sie etwas Endgültiges, als wolle sie kein Wort mehr über das Thema verlieren. Dabei stimmt das gar nicht. Sie würde am liebsten den ganzen Tag lang über nichts anderes sprechen als über ihre Frisur, und nicht nur mit Steffi allein, sondern am liebsten mit einem ganzen Dutzend guter Freundinnen, so dass die Luft nur so erzitterte von ihrem fröhlichen Geschnatter.
Wenn es nur nicht so peinlich wäre. Marianne mag ihre Frisur selbst nicht, aber sie traut sich nicht, darüber zu sprechen, nicht mit Steffi, und schon gar nicht mit ihrem Friseur, der ihre Mutter kennt. Das mit dem Lernen ist natürlich eine dumme Ausrede. Sie ist zwar eine fleißige Studentin, aber für einen Friseurbesuch mit ihrer besten Freundin hätte sie allemal Zeit, hätte sie am liebsten fünfmal in der Woche Zeit. Marianne ahnt, dass Steffi das weiß, und Steffi weiß es natürlich, und doch reden sie seit Jahren über Mariannes Frisur, ohne auch nur mal einen Termin bei einem Friseur vereinbart zu haben.
Steffi spürt, dass Marianne über das Thema nicht mehr sprechen kann und zündet sich eine von ihren nicht mehr als zehn roten Gauloises am Tag an. Sie zieht dran, dreht den Kopf und bläst den Rauch gegen die Fensterscheibe. Die Fenster des Cafes sind so riesengroß wie Kaufhofschaufenster, und wahrscheinlich war der kleine Laden hier früher wirklich mal eine später bruchgegangene Boutique.
Die Zeit wird langsam knapp. Steffi muss auf ihr Seminar. Es widerstrebt ihr jedoch, sich jetzt einfach so davonzumachen. Irgendwas drückt Marianne beinah in die Tischplatte, und Steffi möchte ihr helfen, aber dazu muss sie erst mal genau wissen, worum es geht!
”Ich hab den Sven eingeladen.” sagt Marianne.
Steffi starrt ihre Freundin an.
”S-ven?” fragt sie so freundlich und unbeteiligt und ermutigend klingend wie möglich. Sie weiß haargenau, wer Sven ist. Für ihre Begriffe ein glatter Idiot. Aber scheinbar hat Marianne-
”Du weißt schon, der von der Party.” flüstert Marianne mehr als dass sie spricht. Sie hält sich wieder am Zuckerstreuer fest, nicht zu fest allerdings, ihr Blick wischt kurz an Steffi vorüber und landet wieder auf der Tischplatte.
”Der von der Salatbar?”fragt Steffi, und denkt sich etwas mit einem der ödesten betrunkenen Typen und einer der dümmsten Anmachen, die sie je erlebt hat, und sagt es nur nicht, weil ihr Marianne jetzt, da sie tatsächlich gesprochen hat, so verletzlich wie niemals zuvor vorkommt.
Sie muss jetzt dranbleiben. Als sie die Party gestern verließ, war Marianne nicht mehr zu sehen gewesen. Was das betrifft, dieser Sven aber auch nicht. Den Versuch, diesen außerirdischen Gedanken weiterzuspinnen, bricht Steffi sofort ab. Dass Marianne sich mit einem Mann einfach so davonmachen würde, und noch dazu mit so einem, ist so wahrscheinlich wie das Ende der Welt. Aber wenn sie Mariannes unsichtbare Zeichensprache richtig deutet, und nach zwanzig Jahren fühlt sie sich imstande dazu, dann sieht es ganz danach aus. Mit dem Typen ist was gelaufen.
Marianne nickt. Ihr Blick streift Steffi noch einmal, diesmal eine knappe tausendstel Sekunde länger.
”Den hätte ich beinah schon wieder vergessen.”flunkert Steffi und hat plötzlich eine Vision. Sie verschwindet in ihrem Seminar, während Marianne ruhig und den Cappucino endlich trinkend wartet, bis im nächsten Moment Sven hereinstürmt, keuchend und mit gejagtem Blick, eine zerfetzte Rose in der Hand. Er erblickt Marianne, stürzt immer noch keuchend auf sie zu, und sagt irgendwas unheimlich Nettes, ist eine wahre Ausgeburt von einem Traumprinzen und Gentleman, und alles ist schön und gut..
Steffi trinkt ihre Tasse leer. Gerade will sie Ich-muss-jetzt-aber-gehen sagen, als es aus Marianne herausbricht:
”Der war doch total nett!”
Die Worte sind schlicht, und Marianne hat sie sich vorher zur Sicherheit überlegt, aber sie sind so untypisch, dass Steffi einfach was merken muss. Sie sieht Steffi eine halbe Sekunde lang direkt in die Augen, und irgendetwas wie Heiterkeit huscht über ihr Antlitz.
Steffi vergisst ihren Satz und fragt: ”Ja, habt ihr euch danach nochmal gesehen?”
”M-hm," nickt Marianne, ”an Rosis Haustür, ich wollte grad gehen..”
Marianne spricht weiter, und Steffi weiß plötzlich ganz genau, was geschehen ist, und das trifft sie so unerwartet, dass sie beinah losheulen möchte. Wenn irgendwas sicher war in Steffis Leben, dann war das die Gewissheit, dass Marianne irgendwann mit einem furchtbar anständigen jungen Mann aufkreuzen würde, den sie in drei Monaten oder genau am dreiundzwanzigsten September heiraten wollte. Ihr Herz wird plötzlich tonnenschwer, aber sie lächelt, weil sie sieht, dass ihre Freundin auch lächelt.
Am Cafe-Eingang bimmelt das Schamanenwindspiel los, die Tür geht auf, und Sven stampft herein, ungefähr so naß wie jemand, der eben unausgezogen in ein Schwimmbad fiel.
Während seine Brille beschlägt, sieht er sich um, erblickt Steffi und Marianne und geht auf die beiden zu. Er trägt eine früher mal grüne Cordarbeitshose mit riesigen ausgebeulten Schenkeltaschen, darüber ein rot-schwarz-kariertes Holzfällerhemd.
Steffi erinnert sich an das Hemd. Jetzt steht er am Tisch, sagt müde "Hi" und putzt sich mit dem Hemd die Brille.
Steffi sagt GrüßDich und sieht ihn mit großen Augen herausfordernd an. Marianne nennt ihn Sven-ni, dabei verbiegt sich ihr Rücken vor Peinlichkeit um fast neunzig Grad. Sven reagiert auf nichts von alldem, scheint aber auch ziemlich blind zu sein ohne Brille.
Er nimmt zwischen den Mädchen Platz, streicht sich die Filzhaare aus dem Gesicht und setzt sich sein John-Lennon-Nickelimitat wieder auf. Er sieht Steffi an und deutet mit dem Zeigefinger auf sie. ”Du bist doch die-”
”Ja, ja, wir haben uns gestern gesehen.”
Er zieht mit fragendem Blick seinen Finger zurück.
”Auf Rosis Party!”
”Ah, die Party, genau.”
Steffi ärgert sich furchtbar über Svens Machogetue, und wäre am liebsten schon draußen, wenn nicht Marianne schon wieder am Zuckerstreuer hinge.
Sven zieht aus seiner linken Cargo-Tasche ein zerknautschtes, fast leeres Päckchen Schwarzen Krauser, dazu Papers vom Penny Markt, und beginnt sich eine Zigarette zu drehen. Steffi betrachtet seine Hose, und ordnet sie eindeutig in die Prae-Cargo-Ära ein. An seiner rechten Schenkeltasche zeichnet sich etwas Rundes ab, das sie nicht klassifizieren kann. An der unteren Taschennaht erkennt sie einen großen Kulifleck. Niemand spricht. Das hält sie nicht aus.
”Woher kennst du Rosi denn?” fragt sie.
”Wen?”
”Rosi, der die Wohnung gestern gehörte!”
”Ach die. Keine Ahnung. Bin mit einem Freund gekommen.”
Wieder Schweigen.
”Und mit wem?”
”Benito.”
”Von den Romanisten?”
Steffi kennt einige Studierende des Romanistischen Instituts, darunter Benito, einen netten Gaststudenten aus Zaragoza.
”Nein, der studiert nicht.” meint Sven. ”Aber er kennt einen Haufen Leute.”
Endlich kommt die Bedienung heran, eine hübsche Blonde mit langer, weisser Bauchschürze, und erlöst die Mädchen von den Qualen dieser Konversation.
”Willst du was bestellen?”fragt sie Sven.
Der sieht die Bedienung an, als wär sie von einem anderen Stern.
”Hast du Dunkles?”fragt er schließlich.
”Ja, klar.”
”Welche Sorte?”
”König Ludwig oder Guinness.”
”Dann König Ludwig.”
Die Bedienung behält die Bestellung im Kopf, steckt ihren Schreibblock wieder ein und wiegt mit ihrer langen Schürze zurück zur Theke.
”Wo kommst du eigentlich her?” fragt Steffi und lehnt sich läppisch in ihren Stuhl zurück, weil Sven sie einfach nervt.
Seit Sven sich gesetzt hat, hat der Tisch sich in zwei ungleiche Hälften aufgeteilt. Auf der einen Seite Steffi und Sven, die den aktiven Teil bilden, sich gerade mal annähernd oder entfernend oder was auch immer, daneben und etwas im Abseits Marianne, die sich immer weniger beteiligt und von Sven sichtlich links liegen gelassen wird, was Steffi ein schlechtes Gefühl über die Gesamtsituation gibt, weil sie immer noch überzeugt ist, dass Marianne und Sven gestern was hatten.
”Bayreuth.”brummt Sven.
”Aah, kennst du Jean Paul?” Jetzt wacht Steffi richtig auf. Sie hat vorletztes Semester ein Seminar über den deutschen Roman des neunzehnten Jahrhunderts besucht, hat Siebenkäs und Titan gelesen, und hat sogar ein Referat über das Leben des Dicken, also Jean Paul, gehalten.
”Der hat ganz lang in Bayreuth gelebt.” fährt sie fort.
”Nee,” brummt Sven, ”keine Ahnung.”
”Dabei ist der so ein Aushängeschild von deiner Stadt!”
Sven übergeht die Bemerkung. Er zieht etwa zehn Sekunden an seiner Zigarette und drückt sie aus. Die Bedienung kommt heran, nimmt einen Bierfilz aus dem Ständer und stellt das König Ludwig drauf. Sven bedankt sich, hebt das Glas, schluckt und schluckt und die Bedienung verschwindet. Steffi sieht Marianne an, die sie abwesend angrinst. Steffi fragt Sven, was er studiere, will auf keinen Fall wieder Stille einkehren lassen, nicht, bis Marianne endlich aufwacht.
”Kunst und Philosophie.” meint Sven.
Drohende Pause. Steffi wird aus dem runden Ding in seiner Tasche nicht schlau. Vielleicht ein altes JoJo, oder Schoka-Cola, eine Niveadose wohl kaum.
”Und, machst du selber was "Künstlerisches"?”
”Was verstehst du unter Kunst?” fragt Sven, plötzlich neugierig.
”Na, ich weiß nicht, Plastiken halt, oder Gemälde, so Bildende Kunst-mäßig.”
”Nein, SO was mach ich nicht.” antwortet er, und setzt heiser hinzu:”Ich plan was anderes.”
”Und was?” fragt Steffi.
”Das kann ich nicht sagen. In einem Jahr vielleicht.”
Svens herablassender, aber doch irgendwie plötzlich verunsicherter Blick beendet auch dieses Thema. Stille tritt wieder ein. Steffi will weg. Auf Sven hat sie keinen Bock mehr, und mit Marianne gilt es endlich ein sehr, sehr ernstes Wort zu sprechen. Allerdings erst nach dem Seminar. So kann es nicht mehr weitergehen. Das ist ja Wahnsinn. Nicht dass es schlimm wäre, stumm zu sein, aber eine der Rede fähige Stumme zu sein, die gerade deshalb frustriert ist, das ist ja Wahnsinn. Das kann doch nicht sein. Das läuft schon viel zu lange so.
Die Buena Vistas sind inzwischen bei ihrem größtem Hit angelangt, und während sie die ersten, sich wiederholenden, schicksalhaften Akkorde anschlagen, wippen einige nicht mehr völlig junge Cafebesucherinnen rhytmisch mit ihren Oberkörpern im Takt, und ihre Gegenüber lachen ihnen verständnisvoll ins Gesicht.
Marianne und Sven, dessen Bier inzwischen weg ist, haben sie eigentlich nichts miteinander zu tun. Sie sitzen nebeneinander wie zwei Lichtjahre voneinander entfernte Sternensysteme. Wenn diese Idiotin doch nur endlich ein Wort sagte. Es ist zum Verrückt Werden.
”Was magst du denn für Kunst?” fragt Steffi.
Sven dreht sich eine Zigarette. ”Weiß ich nicht. Es gibt so vieles, und das meiste ist totaler Schrott. PopArt ist cool.” Er nennt einige Namen, die Steffi noch nie gehört hat.
Steffi stimmt ihm zu, äußert sich aber nicht zu dem Thema, sieht stattdessen auf ihre Swatch und meint, sie müsse jetzt wirklich gehen, ihr Seminar und so weiter. Als hörte er nicht, hält Sven die vorüberwiegende Bedienung auf und bestellt noch ein Weißbier.
Steffi rüstet trotzdem zum Aufbruch, packt ihre Tasche und nimmt ihre Geldbörse raus. Marianne tut es ihr nach, holt Luft, und flüstert Sven zu, sie müsse jetzt auch gehen. Sven nickt und macht ein Zeichen, das Steffi nicht versteht.
Die Bedienung bringt das Bier, alle drei zahlen sie, Sven läßt sich das Wechselgeld wieder geben. Die Mädchen erheben sich, Steffi zieht ihren TrenchCoat an, während Sven versucht, die frische Halbe noch schnell in einem Zug zu leeren.
Er kommt so rasch damit voran, dass die Mädchen ganz ruhig stehen bleiben und warten.
Plötzlich kriegt er etwas von dem Bier in die falsche Kehle kriegt und hustet tief und dröhnend los. Nach einigen Sekunden fangen die Mädchen an, ihm auf den Rücken zu klopfen. Schließlich rutscht das Bier wieder nach oben, und Sven bedankt sich mit glasigen Augen für das hilfreiche Klopfen. Alle drei müssen sie lächeln.
Schnell trinkt er auch die Neige in seinem Glas noch weg, meint scherzend und mit Reibeisenstimme, dass er jetzt WIRKLICH genug habe, und steht auf, indem er geschwind noch seine Rauchutensilien in die linke Cargotasche packt.
Steffi marschiert schon los, und im Gänsemarsch schlängeln sie sich zwischen den Stühlen in Richtung Ausgang, die Bedienung sagt Tschüs, Steffi öffnet die Tür, die BuenaVistas werden leiser, sie gehen hinaus.
Da es wie aus Kübeln regnet, bleiben sie unter der kleinen, blauen Markise stehen, an deren vorderem Ende neben der fröhlichen Aufschrift ‘Cafe Paris’ ein schiefer Eiffelturm hängt.
”Also, ich muss jetzt.” sagt Steffi, die sich seit Svens Hustenanfall plötzlich viel besser fühlt, als sei doch alles in Ordnung, und als habe sie sich in die ganze Sache einfach viel zu sehr hineingesteigert. Sie öffnet ihren Schirm, winkt Sven und Marianne ein Kleinmädchenwinken zu, sagt herzlich Tschüs und stolpert, ohne sich nochmal umzudrehen, in Richtung Uni davon.
Während er Steffi hinterhersieht, fragt Sven: ”Gehst du zur Tram?”
Marianne sagt ja, und beide drehen sich um und gehen hinaus in den Regen, wo sie weit weg das Rauschen eines der neuen Trambahnzüge hören. Sie haben keinen Regenschirm und werden mit jedem Schritt nässer. Sie sagen nichts, gehen schweigend, vorbei an Shops und Boutiquen, vorbei am müd voranrückenden Schellingstraßenstau, vorbei an der nächsten Baustelle. Sven raucht eine nasse Zigarette und starrt auf den Gehsteig. Marianne hat keine Ahnung, was in ihm vorgeht, sie weiß auch nicht, was geschehen wird. Sie möchte einfach weglaufen, irgendwohin, weil sie eine Fremdheit spürt, die sie beinah verzweifeln läßt, nicht nur vor der großen Stadt und den ganzen Leuten, es ist Sven, der sie abstößt wie ein Monster vom Mars. Eine kalte Hand kriecht ihr über die Schultern und den nass werdenden Rücken. Sie möchte heim. Könnte sie doch nur im Gehsteig versinken. Seit sie heute morgen aufwachte, nein, eigentlich schon, seit sie sich gestern Nacht ausgezogen hatte und Sven sich wild und schmusend über sie hergebeugt hatte, jagt sie ein fürchterlicher Gedanke, der sie wie ein kindlicher Albdruck auch nach dem Aufwachen nicht mehr loslässt, dass sie jetzt hoffentlich, bitte, bitte, ach bitte kein Kind bekomme.