Sein ganzes Leben schon lebte der kleine Pit allein mit dem alten Dravidoff auf einer griechischen Insel, die sich Chios nannte. Pit wusste, daß ein Geheimnis um die Welt lag, das Dravidoff hartnäckig vor ihm verbarg. "Später." sagte der alte Mann immer, wenn Pit ihn danach fragte, was nicht sehr oft vorkam, denn Pit war ein glücklicher Junge.
Jeden Tag schwamm er in der kleinen, zerklüfteten Bucht im blauen Ägäischen Meer und spielte mit den Delphinen. Oft wanderte er auch unter den Büschen und Zypressen, unterhielt sich mit den Ziegen oder beobachtete die vielen sirrenden und brummenden Insekten der Umgebung. An besonderen Tagen durfte Pit auch mit Dravidoff gehen. Meistens aber wollte Dravidoff alleine sein und werkelte in seinem Garten oder an seinem Funkgerät.
Blieb Pit zu Hause, las er in seinen Lieblingsbüchern, im Homer, in Gustav Schwabs Sagen des Altertums und seiner Kinderbibel oder informierte sich am Computer über die unterschiedlichsten Themen. Oft sah er auch Filme über ferne Gegenden und Städte wie Athen, Paris oder die Sahara. In manchen Nächten träumte ihm, dass Dravidoff den Körper eines Zentauren besaß. Der alte Mann erzählte ihm dann die merkwürdigsten Sagen und Geschichten aus der alten Zeit und was den Planeten und die Menschheit verändert hatte.
Wenn zur Abendzeit am Himmel Gewitterwolken aufzogen, bekam Pit Angst vor dem Zorn der Götter. Er verzog sich dann in Dravidoffs Bett, und Dravidoff nahm ihn in seinen großen und starken Arm.
An manchen Tagen, wenn es Pit nicht so gut ging, spielte Dravidoff Fußball mit ihm, und sie aßen Käse und Brot und Oliven aus Dravidoffs Garten.
Nach dem Essen fragte Pit dann oft: "Wann fahren wir denn nach Athen zu den Menschen, Dravidoff?", und Dravidoff gab ihm immer wieder dieselbe Antwort: "Ein anderes Mal, Pit, mein Junge, ein anderes Mal." Und der Alte ging schweigend wieder hinaus in den Garten.
Ein Riesenhase, radioaktiv bestrahlt, besitzt noch dieselben Instinkte wie einst seine Artgenossen. Beim Anblick eines Menschen kratzt er die Kurve, zerstört ganze Wein- und Weizenfelder, zertrümmert Häuser und Ortsränder. Seine peinlichen Versuche, sich zu verstecken - bei 15 Metern Rückenhöhe und einer eher flachen Landschaft wie etwa um den Neusiedler See herum.
Ein Paar. jung, bürgerlich, sitzt gemeinsam am Küchentisch beim Essen und betrachtet mit äußerster Reserviertheit seinen Gast - einen Mann, der eben eingetreten ist und die Frau mit dem allergrößten Enthusiasmus fixiert. Über ihm eine Textzeile zu sehen, in der er sagt: "Ich hab's mir nochmal überlegt. Lass uns heiraten. Es wird alles wunderbar sein!"
Subtext: "Plötzlich, nach viereinhalb Jahren, war ihm endlich alles klar geworden."
Zwei zärtliche Agentinnen in einer weiteren "Variation auf das Ende der Menscheit".
Luba, Geheimagentin
Luba galt als die beste Agentin der weltweit agierenden Geheimorganisation GORG. Als eine von wenigen war sie bei ihren Aufträgen mit praktisch unbegrenzten Mitteln und einem Höchstmaß an Befugnissen ausgestattet. Wenn es sein musste, dann brachte sie Menschen, ja ganze Gruppen zur Strecke, war es notwendig, dann ging sie mit ihnen ins Bett. Luba beherrschte sämtliche Disziplinen des Agentinnenwesens perfekt. So brachte sie, nur um ein Beispiel zu nennen, Männer durch eine spezielle Sextechnik noch während des Beischlafs, spätestens aber danach im hypnotisierten Schlummer über jedes beliebige Thema zum Sprechen.
Im Verlauf ihres letzten Auftrags bekam sie es mit dem großen Rubelstein zu tun, der jetzt gerade völlig außer Atem an ihrer Seite lag.
"Du bist Wahnsinn, Connie!" keuchte er und schloss lächelnd die Augen.
Bald darauf war Rubelstein eingeschlummert und fing in abgehackten Sätzen zu sprechen an.
"Geheimlabor... Obermenzing... dritte Palme von links... Gencorp... ultra... Wahnsinn… Geheimchips... vierte Palme von rechts... meldet morgen Insolvenz an, ja... hab heut vergessen zu kaufen... morgen das Erste..."
Kurze Zeit später stand Luba im Bad. Sie war vollkommen nackt bis auf einen knappen und sündteuren Slip von Fressange. Das Wasser im Waschbecken lief. Sie betrachtete sich aufmerksam im Spiegel. Mit einem Kajalstift zog sie die leicht verblassten Ränder um ihre Augen nach. Leise, gedämpfte Morsegeräusche zeigten an, dass Luba die Informationen gerade an die Zentrale weitergab. Man konnte nur raten, auf welche Art dies geschah...
Früh am Morgen des nächsten Tages stöckelte Luba mit schnellen, entschlossenen Schritten über die Startbahn des Münchener Flughafens. Mit hektischen Zügen zog sie an einer Zigarette. Ein Learjet erwartete sie. Sie fühlte sich cool, bedeutend, war glücklich.
Luba war Lesbierin. Sie lebte mit Xanef, einer Ärztin zusammen. Die beiden liebten sich sehr, schon viele Jahre. Sie kannten sich seit dem Studium.
An diesem Abend gingen sie miteinander ins Restaurant. Sie amüsierten sich. Sie hatten sich schon einige Wochen nicht mehr gesehen. Ihre Gegenwart erregte Aufsehen. Die beiden attraktiven Frauen störte es nicht.
Später liebten sie sich. Luba war glücklich. Sie lagen nebeneinander.
Luba hielt die Augen geschlossen. Xanef, reif, gelassen, eine hinreißend schöne Frau, sah sie an.
"Ich weiß, dass du mich ansiehst, Xanef." sagte sie lächelnd.
"Du bist schlau, Luba." antwortete Xanef ruhig.
Luba grinste.
"Ja, mir kann keiner was vormachen!"
"Du glaubst, du weißt alles, Luba."
Xanefs Ton war plötzlich bitter geworden. Luba öffnete verwirrt die Augen.
"Na ja, irgendwie schon. Ja." antwortete sie.
Xanefs Miene blieb unbewegt.
"Indes - du bist oberflächlich, Luba." sprach sie mit tonloser Stimme. "Du bist unwiderstehlich, aber du bleibst ein oberflächlicher Mensch. Du bist schön, charmant, du spielst und übernimmst jede Rolle. Wenn man dir ein Dossier gibt, arbeitest du dich in einer halben Stunde ein, aber in zwei Tagen hast du alles wieder vergessen. Am Ende ist es dir gleich. Und du bist an nichts im Innersten interessiert. Du lässt nichts in dein Innerstes. Nicht mal die Menschen, die dir am nächsten stehen. Ich glaube, kein Mensch hat bis heute dein innerstes Wesen gesehen. Nicht mal du selbst. Du lässt niemanden auch nur annähernd so weit kommen. Du bist ein perfekt funktionierendes Organ. GORG kann echt froh sein, dass es dich gibt."
Luba setzte sich auf. Ihr standen Tränen in den Augen.
"Aber,- wie kommst du denn darauf?" fragte sie stockend.
"Nur so." flüsterte Xanef und setzte sich ebenfalls auf. Zärtlich wischte sie Luba die Tränen aus den Augen.
"Ich lieb dich trotzdem." setzte sie hinzu.
Sie küssten sich innig. Aber Luba war verunsichert. Sie sah Xanef zweifelnd an. Xanef sah weg.
"Was ist?" fragte Luba.
"Ich glaub, ich hab Krebs." antwortete Xanef. Und nun traten ihr die Tränen in die Augen.
"Heut morgen hab ich einen Knoten unter meiner linken Achsel entdeckt."
Xanef machte das Bettlicht an und hob ihren linken Arm. Luba erkannte eine leichte, punktförmige Rötung. Xanef nahm Lubas Hand und ließ sie die Rötung berühren. Luba konnte den pflaumengroßen Knoten deutlich spüren.
"Noch ist nichts sicher." sagte Xanef, sich wieder beherrschend. "Ich bin gleich zu Axel. Die Bilder waren nicht eindeutig. Aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, hat er gemeint. Er macht mir nichts vor. Ich weiß es auch selber. Morgen kommen die Befunde der Gewebeproben."
Sie umarmten sich. Xanef fing zu weinen an. Arm in Arm schliefen sie ein.
Am nächsten Morgen wachte Luba auf. Xanef lag tot an ihrer Seite. Als sie entsetzt hochsprang, spürte sie in ihren Kniekehlen und ihrem Nacken drei Knoten, so groß wie Kartoffeln. Panisch fuhr sie ins Krankenhaus, nicht ahnend, dass das Ende der Menschheit nahte, und dass sie es war, die es weiter verbreitete.
Jahrelang färbte ein Mann sich einmal täglich seine Haare rot und wieder zurück. Seine Geliebte konnte allein mit Rothaarigen, seine Frau jedoch kannte ihn nur als dunkelhaarigen Bankvorstand. Beide schätzten ihn wegen seiner natürlichen, in ihrer Lieblingsfarbe stets wie frisch gewaschen wirkenden Haare.
Ein nicht mehr ganz junger Mountainbiker durchradelt in flottem Tempo ein malerisches Waldgebiet. Das Gehölz liegt in der Nähe des Ferienortes des Mannes, einer schön gelegenen, aber wenig bekannten Gemeinde im vorderen Niederbayern.
Der Radler wirkt gut in Form für sein Alter und zeigt ein kerniges Lächeln, ganz nach Art eines durch und durch gesunden und schneidigen Bewohners der Hochalpen. Interessanterweise gleicht er Willi Bogner dabei in gar nicht geringem Ausmaß. Zufällig möchte der Mann auch, genauso wie Willi Bogner, liebend gerne als junger Mann mal Klavierspielen gelernt haben, hat es aber leider wie Willi Bogner sein Leben lang nicht geschafft. Seine von buschigem Grau durchzogenen Koteletten setzen sich, gleichfalls wie bei Willi Bogner, sympathisch und sportlich wuchernd seitlich von seiner weißen, wie frisch aus der Verpackung geholt wirkenden Baseballmütze ab.
Nachdem der Mann ungefähr fünf Minuten weiter durch die schöne Waldgegend geradelt ist, begegnet er einem blondgelockten, jugendlich und gleichzeitig altersweise wirkenden, dem Verfasser dieses Berichtes erstaunlich ähnelnden, und, es lässt sich nicht anders sagen, gespenstisch gutaussehenden Jogger. Die beiden grüßen sich freundlich.
Der Mann fährt fort, mit gleichmäßigen Kreiselbewegungen seiner kräftigen Schenkel die Pedale zu treten, im Hintergrund entschwindet der schöne Jogger (das Kinn etwa wie Rodins Denker auf die rechte Hand gestützt, ansonsten, von den Haaren abgesehen, Michelangelos David auf ganz verblüffende Weise gleichend) mit federnden Schritten.
Mit einem Blick auf die Waden des Radlers könnte man nun leicht dem Gedanken verfallen, er sei vielleicht auch ein Ex-Skifahrer wie Willi Bogner. Doch liegt man mit dieser Annahme völlig daneben. Der Mann ist astreiner Betriebswirtschaftler, ein ziemlich reicher noch dazu, der es nur zufällig neben seinem wichtigen Job eben auch noch geschafft hat, seinen Körper beispiellos fit zu halten.
Was den Radler zusätzlich interessant macht, ist, dass sein Leben vor ungefähr drei Monaten angefangen hat sich zu verändern. Plötzlich, eines Morgens vor der Kaffeemaschine, hatte er zu grübeln begonnen. Ein Gefühl, als sei in seinem Leben irgendetwas nicht richtig gelaufen, lässt ihn seither nicht mehr los.
Erfolg hat er ja zweifellos gehabt, denkt er sich jetzt oft. Man nehme nur seine drei gut verlaufenen Ehen, dazu die vielen Bekannten und Freunde, das Geld, und seinen stetigen, einer beeindruckend positiven Aktien-Wertsteigerungskurve gleichenden beruflichen Aufstieg. Und doch wird er jetzt, fünf Jahre vor seiner offiziellen Berentung, die Empfindung nicht mehr los, als habe er irgendetwas in seinem Leben verpasst.
Natürlich könnte er jederzeit zu arbeiten aufhören, überlegt er. Aber was soll er dann tun? Nur noch Sport machen? Vor einem Jahr hätte ihm dieser Gedanke noch Spaß gemacht. Er hat ihn an schlechten Tagen oft verwendet, um sich durch die schöne Aussicht daran wieder aufzurichten. Heute würde er es vorziehen, am Ende seines Lebens sagen zu können, auch noch etwas für die Menschen, für die ganze Menschheit getan zu haben. Irgendwas Nützliches, etwas Gutes, etwas, durch das es seinen Mitmenschen und der Natur wieder besser geht.
Indem der Mann so weiterradelt, taucht am Rande des Waldweges eine leicht heruntergekommene Kapelle auf, über deren Eingang in einer kleinen Nische irgendeine weiß angestrichene Plastik-Mutter Gottes aus Fatima, Lourdes oder Altötting steht. Der Mann passiert das Bauwerk, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden.
Dann wird er auf ein seitlich der Kapelle liegendes lilafarbenes Häuflein aufmerksam.
Einem plötzlichen inneren Antrieb folgend, hebt er den Kopf und erkennt gerade noch, wie in einigen hundert Metern Entfernung ein mindestens zwanzig Jahre alter Passat Kombi, über die Wurzeln eines abzweigenden Waldwegs holpernd, zwischen den Bäumen verschwindet.
Neugierig geworden, bremst der Radler ab und steigt von seinem pneumatisch noch ein wenig nachfederndem Bike. Da gleitet die lilafarbene Ansammlung, die ihm offenbar gefolgt ist, bereits an ihn heran und legt sich in einer schnellen und völlig unerwarteten Bewegung um sein linkes Bein. Mit einem Gefühl ohnmächtigen Entsetzens stellt der Mann fest, dass die Masse sich anschickt, sein Bein hinaufzuwandern und es gleichzeitig aufzulösen. Der Schock darüber lähmt ihn vollkommen und hält ihn an dem unheimlichen Orte fest. Er muss an ein Gruselcomic denken, das er in seiner Schulzeit gelesen hat. Angsterregende Schmetterlinge nagten darin in einem tiefen, menschenleeren Urwald zwei Forschern immer dann, wenn die beiden gerade schliefen, Teile ihrer Gliedmaßen ab. Das Ganze zog sich über ein paar Tage hin, aber letztlich hatten die Forscher keine Chance dabei.
Im Handumdrehen verendet der Mann. Kurze Zeit später ist sein Skelett vollkommen freigenagt. Bis zu seinem Tode ahnt der Betriebswirtschaftler nicht, dass das lilafarbene Häuflein, welches mittlerweile größer geworden ist, durch das Fressen offenbar wächst, aus Myriaden sich teilender Killermikroben besteht, welche innerhalb von vier Tagen alles höhere Leben auf diesem Planeten vernichten werden.
Drei kurze Folgen aus der "Eroberung des Weltalls"
Folge 1 461 983 887:
Auf dem Parkplatz eines Drive In-Kinos in der Nähe von Innsbruck:
Knutschende Pärchen in schicken Fun-Cars, gelegentlich das Aufglimmen einer Zigarette, das Rascheln von Diät-Popcorn und Diät-Chips, das Gluckern von Pappbechern, aus deren Innerem mit Strohhalmen Light-Cola geschlürft wird. Auf der Leinwand: Eine perfekt proportionierte Blondine und ein Mann mit wirrem Haar und Doktorkittel:
Eine Explosion mit darauffolgender Giftgaswolke. Der Rauch verfliegt, die beiden Darsteller sitzen mit rauchgeschwärzten Wangen auf einem Versuchstierkäfig.
"But I dont understand this, Mr. Crazy Scientist."
"Nieser du Ei, Miss Blond!"
Gelächter auf der Leinwand und im Publikum, dann wieder Rascheln, Gluckern, Zigarettenglimmen.
Hans K ( in einem heruntergekommenen Karren alleine sitzend, in schäbigen, altmodischen Klamotten ein altes Stück Brot kauend):
"Abrr i varrstä´s. I varrstä´s!"
Folge 3 023 881 131:
Die Erde. Wir schreiben das Jahr 2327 nach Christi offizieller Geburt. Es herrscht das große Zeitalter der Brettspiele unter der Regentschaft von Weltkanzler Bornemann. Man spielt alles nur brettspielmögliche: Spiele auf Holz- oder auf Plastikbrettern, Avantgarde-Spiele auf Aluminiumbrettern, Spiele auf Stofftüchern, Spiele mit Hütchen, Spiele mit bunt bemalten Steinchen oder mit blinkenden Klötzchen. Die Mannigfaltigkeit dieser blühenden Brettspielkultur ist nicht mehr zu überschauen.
Und auch die Raumfahrt erhält ihren Teil vom üppigen Kuchen. Zwei Münchner Objektkünstler und Brettspieldesigner entwickeln ein Space-Brett, ein Spielbrett, das in der Schwerelosigkeit schwebt, das man von zwei Seiten gleichzeitig bespielen kann und das sich mit lustigen bunten Schnüren an den Wänden befestigen lässt.
Folge 3 365 877 437:
"Computer, gehe auf Diskettenlaufwerk A."
"Drrrt. D-d-d-drrt. Dis-ket-ten-lau-fwerk A!"
"Gehe auf Datei Verteidigungssystem."
"d-d-d-d-d-d-drrrrrt. Datei Ve-tei-di-gungs-sys-tem nicht gefunden."
"Mein Gott, geht das nicht schneller. Die kommen immer näher!"
"Halt`s Maul, Paul! Halt`s Maul!! Wir brauchen jede Sekunde für den Scheißcomputer! Schau lieber, dass wir nicht in den Mars knallen!"
"Schon gut.. Entfernung 2000 Kilometer."
"Computer, gehe auf Datei Ver-tei-di-gungs-sys-tem!"