Dienstag, 10. August 2010

Der Fernsehabend

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Der Fernsehabend



Dirk, Mario, Gonzo und Marios Frau liegen chipsmampfend über die Couchgarnitur in Marios Wohnung verteilt und folgen dem Fernsehprogramm mit gespannter Erwartung. Es ist wieder mal Hollywood- oder Blockbustertime, und für heute ist edelste Action vorausgesagt. Ein paar kleine, böse Explosions- und Gewaltsequenzen haben den vieren schon richtig Appetit gemacht, und allgemein ist zu spüren, daß der Film langsam auf Touren kommt.
Skrupellose ausländische Banditen haben vor ein paar Minuten Bruce Willis' Familie entführt und geben gerade in einem fiesen Video bekannt, daß sie auch noch vorhaben, die Welt zu zerstören.
In der Wohnung macht ein Joint die Runde. Dazu trinken die Freunde Bier. Beides ist überhaupt kein Thema, wenn die Freunde mal zusammen sind. Dirk, Mario und dessen Frau haben ihren Alkoholkonsum derart unter Kontrolle, daß sie nicht mal dran denken, wenn sie was trinken. Noch mehr ist das so mit dem Gras.
Was indes den alten Gonzo betrifft, so kann es gut sein, daß ihn die Sauferei schon impotent gemacht hat. Das ist zumindest sein eigener Eindruck. Überhaupt sind seine Gedanken in den letzten Jahren fast ausschließlich noch mit der Sauferei beschäftigt. Oft braucht er seinen Störtebecker schon zum Aufstehen. Von all dem hat  er den anderen aber nie was gesagt.
Verglichen mit Gonzo geht es Dirk und Mario absolut glänzend. Die haben ihre Jobs und saufen oft gar nichts. Sie kiffen nur gelegentlich und rauchen zu viel. Das wissen sie aber auch selber, und was den Rest ihres Lebens betrifft, so fühlen sie sich einfach gar nicht so schlecht und zufrieden.
Gonzo ist ihr Freund, seit Dirk und Mario denken können. Gonzo war schon gut drauf, als sie beide noch im Sandkasten rumhockten und mit ihren Matchboxautos rumspielten. Gonzo hatte damals schon immer die guten Witze drauf. Wann immer Gonzo damals irgendwo mit dabei war, war für die gute Stimmung schon vorgesorgt. Das ist auch heute noch so, auch wenn man ihm in der letzten Zeit anmerkt, daß ihm schön langsam die Luft ausgeht.
Heute aber ist eindeutig wieder mal Gonzos Tag. Im Fernsehen fliegt einer der Arschköpfe gerade mit Atombombengetöse in die Luft.
"Scheißkerl." meint Bruce Willis' Partner, ein Muskelberg, der zwar nicht so viel im Kopf hat wie Bruce, dafür aber ein hochentwickeltes Gerechtigkeitsgefühl besitzt. Vor Anstrengung und berechtigter Wut fletscht der Typ wieder mal die Zähne.
Dirk und Gonzo lachen los, weil der Film ihre Vorfreude absolut bestätigt. Geile Action und befriedigte Revanchegefühle ohne Ende, mehr haben sie nicht gewollt und auch nicht erwartet.
Mario und seine Frau drehen sich schnell zum Fernseher hin, sehen noch einen halben Liter Blut des Arschgesichts gegen die Wand spritzen und lachen mit.
"Kommt gut!" meint Gonzo in sich hineinkichernd zu den anderen und zieht mit Genuß an seiner Zigarette, die er nach alter Manier so hält, daß sie in seinen Handteller qualmt.
Bruce und sein Freund setzen bis an die Zähne bewaffnet ihren Weg durch irgendeinen verdunkelten riesigen Gebäudekomplex fort, Mario und seine Frau auf der Schlafcouch wenden währenddessen ihre Aufmerksamkeit wieder einander zu.
Die Szene vorhin, die Bruces Frau mit ihren Superbrüsten halb verdeckt in ihrer Duschkabine nichtsahnend kurz vor ihrer Entführung gezeigt hat, hat Mario ganz unerwartet spitz werden lassen. Seitdem schmust er hingebungsvoll zu seiner Frau rüber, die ihrerseits seine Zärtlichkeiten gerne erwidert.
Gonzo am anderen Ende der Couchgarnitur sieht fast nicht rüber zu den beiden. Oft überkommt ihn bei solchen Anblicken eine fade Melancholie, die ihm, wenn's schlecht geht, ganze Abende vermiesen kann. Ihm reichen die Bett- und Rammelszenen im Fernsehen schon immer vollkommen.
Dirk auf der anderen Seite sieht schon öfters rüber, wenn auch verstohlen. Er hat überhaupt keine Frau im Moment, und ihn juckt es schon auch ganz schön, aber das kann er natürlich nicht zeigen, und einfach irgendwohin verschwinden will er auch nicht. Melancholisch wird aber auch Dirk momentan ganz leicht. Er krallt sich also im Minutentakt ein paar Hände voll Chips und reißt sich, nachdem er die Chips verdrückt hat, die nächste Bierdose auf.
Im Fernseher kommt die Action langsam immer mehr in Fahrt. Erst haben die durchgeknallten Terroristen ein paar harmlose Passanten, Bankangestellte und Polizisten auf perfid bösartige Weise und allein kraft ihrer technischen Überlegenheit um die Ecke gebracht, dann haben sie unter weiterer Mißachtung sämtlicher Regeln und Gesetze Bruces Familie und die größte Atombombe aller Zeiten aus einem geheimen Staatsbunker entführt. Die monströse Bombe, die von allen ehrfürchtig "Fatal Freddie" genannt wird, wäre imstande, die Vereinigten Staaten im Alleingang mit einen Schlag zu vernichten.
Logisch, daß die Zeit dabei immer knapper wird. Die Terroristen haben ein unmenschlich enges Zeitlimit gesetzt, und Bruce muß jetzt ebenfalls unter Mißachtung aller Regeln und Gesetze, wenn die Menschheit überhaupt noch eine Chance haben will, zurückschlagen. Aber Bruce versucht wenigstens, wenn möglich, noch ein paar Regeln einzuhalten, und außerdem hat er ja nicht angefangen, und nur er kann die Welt ja überhaupt noch retten.
Bruce und sein Partner bewegen sich in einem Speisenaufzug gerade ins nächsthöhere Stockwerk und entdecken im Hochfahren durch einen Schlitz in der Aufzugtür fünf oder sechs Komplizen des verrückten Terroristenführers, die es sich in der Küche mit Bier und matschigen Sandwiches gemütlich machen. Kein einziger Bösewicht bekommt dabei von Bruce oder seinem Freund etwas mit.
Dann dreht sich einer der Komplizen zufällig um, fährt schockiert zusammen und zieht seine MG. Seine Kumpane merken sofort, was Sache ist und tun es ihm nach, doch es ist schon zu spät. Bruce und sein Freund pumpen die ganze Truppe voll Blei.
Und so geht es weiter. Bruce und sein Freund werfen professionelle Blicke zur Tür raus, ungefähr so wie die Supertypen in Miami Vice, nur mit phantastisch riesigen Waffen, ballern sich ihren Weg frei und kommen dem Zentrum des Rathauses, wo sich der Terroristenchef gerade lüstern der linken Schulter von Bruces Frau nähert, während Bruces fasterwachsene Tochter ihm dabei zusehen muß, immer näher. Billy, der fünfjährige Sohn schläft zum Glück gerade.
Bruce und sein Kumpel sind allerdings noch lange nicht fertig, als in Marios Appartement die Flaschen, Dosen und Chipstüten zu wackeln anfangen, der ganze Boden zu beben beginnt, von draußen Sirenen und panisches Schreien dringen und eine unvorstellbar riesige Feuerwalze, die sich von Finnland bis zur Sahara erstreckt, sich anschickt, mit dem großartigsten Lichteffekt aller Zeiten über sie alle hinweg zu rollen.