Samstag, 13. November 2010

Last man on the planet (Part II)



Last man on the planet (Part II)


   Ein Schacht ist bis auf fünf Meter unterhalb seiner oberen Öffnung mit Wasser gefüllt. Schaukelnd schwimmt darin eine schmutzige Mörtelwanne, die aus einem schwarzen, gummiartigen Plastik zu bestehen scheint. Der Schacht um die Wanne herum ist quadratisch und roh gemauert, die Länge der Seitenwände beträgt höchstens eineinhalb Meter.
   Eine Frau liegt in der Wanne. Ihre Arme und Unterschenkel hängen über den Rändern der Wanne und scharren, mit jeder Bewegung des Wassers, gegen die Wände des Schachts.
   Die Frau ist nur mit Schlüpfer und Unterhemd bekleidet. Die Wäschestücke sind weiß, wirken vollkommen sauber und scheinen in ihrer Reinheit beinah zu phosphoreszieren.
   Die Luft in dem Schacht ist salzig, riecht nach Meerwasser und Fisch. Überhalb der Frau baumeln die beiden Seilenden eines Flaschenzugs, entfernt ist ein leiser Wind zu hören, daneben das kräftige und regelmäßige Klatschen großer Wassermassen gegen ein Hindernis.
   Die Frau öffnet die Augen. Eben noch hat sie das strahlendste Licht geblendet, jetzt blickt sie einen kurzen Moment lang in das vollkommenste Schwarz. Dann passen ihre Augen sich dem geringen Lichteinfall an.
   Noch überwältigt und ohne Verständnis für die Andersartigkeit der Situation fängt die Frau an, ihre Umgebung zu mustern. Dann, als ihr deren Enge bewußt wird, überkommt sie mit einem Schlag Platzangst, und sie versucht panisch, nach den beiden Seilen zu greifen. Rasch jedoch besinnt sie sich wieder, bleibt ruhig in der Wanne liegen und überlegt.
   Wieder nicht lange, und die Frau scheint einen Entschluss gefasst zu haben. Sie streckt sich, umfasst konzentriert die beiden Seile mit ihren Händen, und zieht sich langsam nach oben. Vorsichtig erhebt sie sich auf diese Art in den Stand.
   Halb stützt sie sich jetzt mit den Beinen in der hin- und herschwankenden Wanne ab, halb noch hält sie sich an den Seilen fest. Kurz löst sie ihren Griff um das rechte Seil, um es weiter oben zu fassen. Ruckartig zieht ihr Gewicht in dem Moment, da sie das rechte Seil losläßt, das linke Seil nach unten, und unerreichbar fliegt das rechte Seil in die Höhe, polternd sackt die Frau in die Wanne zurück.
   Rasch füllt das heftig schaukelnde Behältnis sich nun mit Wasser, doch gerade noch rechtzeitig, bevor es zur Gänze versinkt, gelingt es der Frau, es durch ausgleichende Bewegungen ihres Körpers zu beruhigen.
   Für eine Weile schöpft die Frau mit ihren Händen das Wasser aus der Wanne wieder heraus. Kurz bemerkt sie dabei, daß sie sich bei dem Sturz Rücken und linken Arm aufgekratzt hat.
   Als ihr der Wasserstand in der Wanne wieder sicher erscheint, richtet sie sich, dieses Mal freihändig, ein zweites Mal auf. Stetig sinkt die Wanne dabei weiter nach unten, und als die Frau schließlich steht, schwimmt das obere Ende der Wanne nur noch Zentimeter über dem Wasserspiegel. Langsam ergreift die Frau das vorhin nach oben gerollte rechte Seil und zieht es zurück. So hoch sie kann, umfaßt sie nun beide Seile mit ihren Händen und versucht, sich vom Boden der Wanne zu heben. Überrascht spürt sie die Härte und Ausdauer ihres Griffs, und wie leicht es ihr fällt, sich an dem Seil festzuhalten. Die Seile ganz nah an ihrem Brustbein, und nur mit ihrer Rechten umschlungen, greift sie jetzt mit ihrer linken Hand darüber hinweg, und zieht sich ein weiteres Stück empor.
   Rasch kommt sie auf diese Weise voran, und erreicht den Querbalken, der über den Schacht gezogen ist und den daran festgeketteten Flaschenzug hält. Geschickt hantelt sie sich an dem Balken zur Seite, bis der Schacht neben ihr liegt, löst ihren Griff und läßt sich zu Boden fallen.
   Sie wirft einen Blick auf ihren linken Arm. Die Extremität blutet und scheint stärker aufgekratzt, als sie vermutet hat, tut ihr aber kaum weh.
   Noch einmal wendet sie sich dem Schacht zu. Er wirkt wie ein gähnendes Loch aus dieser Perspektive. Im Zwielicht des Schachtinneren undeutlich sichtbar, schwappt die Mörtelwanne hin und her, und stößt schwankend, einmal links, einmal rechts, gegen die Wände.
   Dann hebt die Frau ihren Kopf wieder, und sieht sich verwundert nach allen Seiten hin um, so als bemerkte sie ihre Umgebung jetzt das erste Mal. Der Schacht liegt mitten im Rohbau eines ausgedehnten Gebäudes. Der Boden unter ihren Füßen ist betoniert, vereinzelt stehen unverputzte Ziegelwände herum, dazwischen öffnen sich mannshohe Löcher für die Türen und Durchgänge. Auch die Außenmauern befinden sich noch im Rohzustand. Durch Fenster- und Türöffnungen leuchtet von draußen vollkommen makellos ein tiefblauer Himmel. Eine warme, salzige Brise durchzieht das Gebäude.
   Unschlüssig fängt die Frau an, umherzuwandern. Wieder und wieder durchquert sie das Stockwerk, doch wenn sie von ihrem Schacht absieht, dessen Wasser von oben schwarz und undurchdringlich wirkt, findet sie keine Möglichkeit, es zu verlassen. Die Durchlässe an den Außenwänden führen einzig auf noch ungesicherte Balkonbodenplatten hinaus. Von diesen Platten aus zeigt sich nach allen Seiten hin stets derselbe Ausblick: Meerwasser, völlig glatt und sich bis zum Horizont, bis in die Unendlichkeit ausdehnend.
   Irgendwann, nachdem die Frau das Stockwerk viele Male durchquert hat, und die röter werdende Sonne immer rascher dem Horizont entgegensinkt, überkommt sie ein Gefühl völligen Alleinseins. Seit sie in diesem Gebäude erwacht ist, gelingt es ihr nicht, sich an ein Geschehen zu erinnern, das ihre jetzige Lage erklären könnte.
   Entfernt, am Horizont, glaubt sie, die weißen Kronen sich brechender Wellen zu erkennen, ist sich aber nicht sicher. Sie hat diese Wellen die ganze Zeit schon gesehen, und sie am Ende doch immer nur für optische Täuschungen gehalten. Auch bedrückt sie das Gefühl, daß das Gebäude langsam versinkt. Das Meer ist ihrem Stockwerk in den letzten Stunden stetig näher gekommen, und befindet sich jetzt vielleicht noch einen Meter davon entfernt.
   Müde, durstig, und ohne recht mehr zu wissen wofür, beginnt die Frau, das Stockwerk erneut zu durchqueren.