Montag, 18. Januar 2010

Lassie

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Lassie


Ein Hund läuft frohgemut übers weit hingestreckte Land, kreuzt Äcker und Wiesen und scheint in seinem Enthusiasmus kein besonderes Ziel zu verfolgen. Wild stürmt er in einen Wald hinein, stürmt nach zehn Minuten an einer anderen Stelle wieder heraus, und hastet den vorigen Weg zurück.
Der Hund trägt ein Halsband, hat also auch ein Frauchen. Was mit dem allerdings los ist, ist nicht bekannt. Es kann plötzlich verstorben sein, kann den Hund aber genauso gut auch aus Überdruss irgendwo ausgesetzt haben.
Der Hund kehrt an seinen vorherigen Ausgangspunkt zurück und nimmt, ohne sein Tempo zu verlangsamen, Kurs auf den nächsten Wald.
Es ist ein Lassiehund, wunderschön, das Fell wunderbar glänzend, die violette Zunge im Laufschritt herausbaumelnd, sein Blick aufmerksam, die Ohren gespitzt, die personifizierte Treue und Opferbereitschaft.
Jeder normale und mitfühlende Mensch projiziert in diesem Moment, da der Hund weiter wie blöd die Landschaft durchmisst, auf das Tier ein Gefühl unendlicher Einsamkeit.
"Wie kann jemand dieses Alleinsein nur ertragen?" denkt er sich, während sein Herz sich zusammenzieht. "Der arme Hund kann doch gar nichts dafür. Die Menschen sind schuld daran."
Was in dem Vieh aber wirklich vorgeht, weiß niemand. Atemlos hechelt es wieder über die Wiesen und Felder, gräbt plötzlich die Schnauze in den Boden, scheinbar einen Maulwurf oder ein Erdhörnchen suchend, und sieht einfach nur glücklich aus dabei.
Aber auch das ist wieder die gefühlsmäßige Projektion eines sentimentalen Humanoiden, und nichts außer der Tatsache, daß es eben gräbt, deutet darauf hin, dass diese Tätigkeit dem Tier irgendeine Freude, wenn es denn zu derlei Empfindung begabt ist, bereitet.
Ein Wirbel erfasst den Hund und trägt ihn viele Kilometer hoch in den Himmel. Zum ersten Mal in seinem Leben bekommt er einen Wald von oben zu sehen, dann größere Landgebiete, dann sogar die Küstenlinie eines Kontinents.
Was mag vorgehen in dem armen Tier? Ein Winsellaut entweicht seiner Kehle, tränenfeucht ist sein Blick. Wieder kann man nur die menschliche Angst vor dem Schmerz, dem Tod und der Einsamkeit in sein Äußeres projizieren, wiederum gibt diese Projektion aber keinen Anhalt darauf, daß das Tier etwas in dieser Richtung empfindet.
Also entschwindet der fliegende Hund unserem Blick, und nichts ist gewiss an dem Tier, bis auf seinen sicheren Tod, sobald der Wirbel ihn aus seinem stetig sich drehenden Luftstrom wieder entläßt.