Freitag, 30. April 2010

Selbst ein schlechter Sirtaki



Selbst ein schlechter Sirtaki als Ereignis der Musen.

Er war ein Mann von nervösem Temperament



Subtext: "Er war ein Mann von nervösem Temperament."
Ein Mann, allein an einem Tisch sitzend, sieht durch ein breites Fenster aufs Meer hinaus. Er hält seine beinah fertiggerauchte Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, und nimmt in diesem Moment mit hochgekniffenen Wangen einen Zug.
Die Umgebung macht einen nüchternen, öffentlichen Eindruck, wie das Cafe einer Aussichtsplattform oder eines Museums. Im Aschenbecher liegt eine Kippe, was er trinkt, ist egal, es könnte Bier sein.

Ein Mensch mit der Gabe, unerträglich laut zu schreien



Ein Mensch mit der Gabe, unerträglich laut zu schreien. Banditen z.B. wollen ihn im Schlaf überwältigen, er wacht auf, bekommt einen Schlag und beginnt zu schreien. Der Schrei hebt an gleich einer kolossalen Sirene, er erschüttert die ganze Stadt, halb bewusstlos, halb tot flüchten die Banditen, das Haus wird umstellt, doch niemand kann sich ihm nähern, der Mann schreit nur immerfort, nicht einmal der so bemühte Krisenpsychologe der Polizei kommt näher als einige hundert Meter an ihn heran.

Dinoschule

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Dinoschule



   Die Sonne geht auf über einem grünen, paradiesisch blühenden Landstrich. Weite, sanft geschwungene Rasenflächen tauchen auf, dazwischen üppig wuchernde, von schmalen, gestampften Fußpfaden durchzogene Gehölze aus Farnen und Schachtelhalm. Erhebende Sonnenaufgangsmusik wird eingespielt. In den Wipfeln der Halme zwitschern Riesenrotkehlchen. Die massigen Vögel sind mehrere Meter groß, ihre monströsen, langgezogenen Schnäbel tragen die Ansätze von Gebissen.
   In dem anmutigen und harmonisch in die Landschaft eingefügten Schulgebäude zeigt der gute Dino-Lehrer seinen braven Dino-Schülern ihren Lieblingsfilm. Gewaltige Bombenexplosionen sind darin zu sehen, Staubwolken, die wie Pilze schirmartig in die Höhe steigen, panisch umherirrende Menschen, bewegungsunfähige, verfettete Hauskatzen, hilflos erstarrte, verblödete Hunde, ausnahmslos auf der Flucht vor dem Feuersturm, der sie am Ende alle erfasst.
   "Seht ihr," spricht der Lehrer und sieht augenzwinkernd über seine Lesebrille hinweg, "und das war der Moment, in dem die Reptilien, respektive die Dinos, schlauer waren als die Menschen oder der Rest der damaligen Säugetierwelt. Wir Dinos ahnten, was kommen würde, und als die ersten Bomben flogen, da hatten wir uns alle schon in den Ritzen und Fugen und warmen Kellern der menschlichen Häuser versteckt. Draußen kamen die Menschen und Säuger erbärmlich um, wir aber überwinterten den radioaktiven Fallout mit Hilfe der von den Menschen geschaffenen Technik und seiner Vorratsanlagen."
   Das brennende Skelett von Crocodile Dundee, dem legendären Krokodilschlächter, fliegt gerade über die Leinwand, und die Dinoschüler lachen auf. Es ist eine ihrer Lieblingsstellen.*
   Dann klirren in dem Klassenzimmer plötzlich die Fenster. Von allen Seiten hüpfen mit bleckenden Zähnen Raub-Triceratopse herein. Die Kinder und ihr Lehrer rasen und hopsen kreischend und fauchend durcheinander, doch sämtliche Fluchtwege sind von den Triceratopsen versperrt. Im Handumdrehen haben die Raubsaurier ihren Opfern die Genicke durchgebissen und beginnen ihre von genüßlichen Knurrlauten unterbrochene Mahlzeit an dem zarten Fleisch der Jungtiere. Der Lehrer beobachtet sie dabei mit ersterbenden Augen.



   * Das Poster "Was mit Linda Kozlowsky WIRKLICH geschah", auf dem sich Dundees sexy Partnerin im Badeanzug von einer Gruppe Krokomännchen umzingelt sieht, gehört zu den beliebtesten Motiven der Dino-Jugend.

Bei der Betrachtung eines Maikäfers vor dem Haus


Bei der Betrachtung eines Maikäfers vor dem Haus:
"Er sieht wirklich aus wie bei Wilhelm Busch!"      
                            

Montag, 19. April 2010

Die Differenz zwischen Künstler und Armleuchter


Die Differenz zwischen Künstler und Armleuchter am Ende vielleicht doch nur, dass der Künstler "groß denkt". Dieses Groß Denken tatsächlich aber etwas, das "gegeben" ist, das die Entwicklung der Persönlichkeit mit bestimmt und das sich nur sehr schwer aneignen lässt.

Montag, 5. April 2010

Gustav Gans continued

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Gustav Gans continued

     Eine ganz und gar unvorstellbare Welle der Zerstörung, man weiß nicht, ob im eigenen Land oder anderswo seinen Ursprung nehmend, erfasst das bis zu diesem Zeitpunkt stets friedlich dahinlebende Entenhausen und sein weitreichendes Umland.
     Es ist faktisch unmöglich, dass jemand dieses Ausmaß an Gewalt und Zerstörung überlebt. Alles, sei es nun Land, Luft oder Wasser, ist ein einziges Brennen, Verdampfen und Auseinanderbrechen, und selbst Micky Maus und seine hundenasigen Astronauten hoch oben in der Stratosphäre entkommen dem Schicksal nicht und werden innerhalb von Sekunden zurück auf die Erde gerissen.
     Nicht lang und der blaue Planet ist Vergangenheit. Nur einige düstere Felsbrocken ohne Atmosphäre, teilweise bedeckt mit den ruinösen Resten der menschlichen Zivilisation und für kurze Zeit beieinandergehalten durch ihre schwache gegenseitige Anziehungskraft, treiben, verfolgt und umgeben von einer gigantischen Wolke aus Schutt und Staub, im Bereich der Umlaufbahn des früheren blauen und belebten Planeten.
     Alles scheint tot nun in diesem Sektor des Universums, und wie sollte es auch anders sein.
     Dann aber erhebt sich mit einem Mal aus den im dunklen Sonnenschatten liegenden Resten der Stadt Entenhausen und Onkel Dagoberts Geldspeicher, eingehüllt in eine riesige Blase aus Atemluft, das ewige Glückskind Gustav Gans. Völlig erstarrt, die Flügel gebreitet, treibt er über den Schauplatz der Katastrophe hinweg, und alles, was sich in seinem Kopfe noch regt, ruft "Gott!", "Gott!" und ein drittes Mal "Gott!".
     Das Unglück hat ihn erleuchtet, er ist ein Heiliger geworden, er wird fortan keine Nahrung mehr brauchen, und seine Luft wird reichen für zwölf tausend Jahre.
     Und also treibt Gustav Gans durch die Weiten des Alls, die Flügel gebreitet, die Flossen leicht angewinkelt, den Blick der Unendlichkeit zugewandt, kleiner, kleiner und kleiner werdend im Verlauf unermesslicher Zeiträume, bis er, zum Ende der Tage hin, vollkommen geschrumpft sein wird, zu einer Kugel reinen energetischen Glücks.





Sonntag, 4. April 2010

Die Mondpleite - Zweiter Teil


                                                                                                                                           
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Ich zündete den Störsender per Fernbedienung und stellte die Videokamera auf. Beiläufig erklärte ich, dass Biggi jetzt ihr Mikro zur Bodenkontrolle abschalten könne.
"Wieso soll ich mein Bodenmikro abschalten?" fragte sie.
"Einfach so." sagte ich.
"Was, einfach so."
"Na, so halt."
"Was halt. Ich brech doch ohne Grund nicht meine Verbindung zur Bodenstation ab. Was ist, wenn was passiert?"
Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich ihr sofort alles erzählen sollte. Aber dann hätte ich die Überraschung vergessen können.
"Ich hab was vor, Biggi." sagte ich. "Es dauert nicht lang. Aber das geht nur, wenn du dein Mikro ausmachst."
"Und was ist, wenn was passiert?"
"Was soll denn passieren? Ich hab doch alles kontrolliert."
"Also ohne Grund mach ich das Bodenmikro nicht aus."
"Biggi, jetzt mach bitte das Scheißmikro aus! Dafür zahl ich doch den ganzen Scheißflug!"
Wahrscheinlich war es das erste Mal in meinem Leben, dass ich so laut geworden war, und Biggi mich erstaunt an. Dann machte sie ihr Mikro endlich aus.
"Zufrieden?" fragte sie.
"Ja." sagte ich mit belegter Stimme.
Ich schaltete über Fernsteuerung den Rekorder im Shuttle ein, und in unseren Helmlautsprechern startete Biggis Lieblingssong, "2gether 4ever" von den Sixty Six Sexy Boys.
Ich zog meinen Blumenstrauß aus der Tasche, die für die Gesteinsproben vorgesehen war, und ließ mich auf die Knie fallen.
"Was machst du denn jetzt?" fragte Biggi.
"Biggi." sagte ich angestrengt.
"Was sind denn das für Dinger?" fragte sie weiter.
Sie meinte meinen gefärbten Hanf.
"Das sind die einzigen Hochzeitsblumen, die bei minus 200 Grad nicht kaputtgehen!" antwortete ich schnell.
Jetzt blieb sie endlich still. Ich holte noch ein paar Mal Luft, der Sauerstoff setzte mir irgendwie immer mehr zu, dann ließ ich es endlich raus.
"Bi-Biggi, willst du meine Frau werden?"
Stille.
"Was?"
"Biggi, du bist die Beste, das weißt du. - Lass uns heiraten."
"Sag mal... Meinst du das ernst?"
Ich schwitzte plötzlich wie wahnsinnig und fing an, an meiner Anzugheizung herum zu fummeln.
"Wir lieben uns doch." sagte ich währenddessen. "Du hast doch immer gesagt, du liebst mich, und ich hab's dir auch gesagt."
Sie sah mich ungläubig an.
"Sag mal, spinnst du?"
"Bitte, ich hab doch alles für uns getan." gab ich zurück.
"Was? Mannomann.., du Idiot! Du weißt doch genau, dass ich seit einem Jahr mit Ritschie zusammen bin."
"Was, Ritschie? Nein... Aber wir müssen heiraten, Biggi. Ich kann ohne dich nicht mehr leben. Wir haben doch so viel gemeinsam."
"Was?"
"Du hast doch selber gesagt, wir haben so viel gemeinsam.."
"Ja, aber im Geschäft! Im Geschäft haben wir so viel gemeinsam, weil wir da alle gleich sind. Cool, wohlüberlegt, super-rational, das sind wir doch alle." Sie zögerte kurz. "Das ist doch kein Grund zum Heiraten. Und ich liebe Ritschie."
"Aber-" Mir fiel nichts mehr ein und ich fing an zu heulen.
Biggi schwieg. Ich glaube, sie sah mich mitleidig an, wie ich immer noch dakniete, mit hängendem Helm, den Anzug, die Tasche und den Hanf voll mit Monddreck.
Ich konnte mit dem Schluchzen nicht mehr aufhören. Da bückte Biggi sich zu mir runter und knuffte mich an der Schulter.
 "Jetzt komm schon, wir sind doch Freunde." sagte sie.
"Biggi, bitte" heulte ich wieder los. "wir müssen heiraten. Ich kann doch ohne dich nicht mehr. Liebe, Sex, und Zärtlich Sein!"
Doch damit hatte ich den Bogen wahrscheinlich überspannt. Biggi schüttelte bloß noch ihren Helm und sprang wieder hoch.
"Du spinnst ja." rief sie nochmal. "So ein blödes Theater. Ich hab auch noch andere Sachen zu tun. Ich will jetzt wieder heim."
Sie stolperte in Richtung Shuttle davon.
Ich rief ihr nach: "Biggi, bitte..." Aber sie ließ sich nicht mehr aufhalten. Bald war sie am Shuttle angekommen und kletterte die Leiter hoch.
Mit einem Mal wurde ich panisch und hüpfte ihr mit Riesenschritten hinterher. Ich hatte noch nicht mal die Hälfte der Strecke zurückgelegt, da hörte ich ihre Stimme schon im Helmlautsprecher. Sie schien mit sich selbst zu sprechen.
"Wo ist denn hier der Startknopf?" fragte sie.
Es war der reine Zufall, dass sie das vergessen hatte, und mein Glück! Als ich den Shuttle erreichte, war sie gerade dabei, die Sauerstofftanks zu entlüften. Das wäre unser beider sicherer Tod gewesen.
Ich stürzte ins Cockpit, riss sie vom Steuerpult weg und kontrollierte die wichtigsten Parameter. Es war noch alles in Ordnung, zumindest was die Technik betraf. Unter Tränen startete ich die Triebwerke und brachte den Shuttle zurück auf Kurs Terra.
Biggi verzog sich unterdessen in die von mir entfernteste Ecke und starrte ins Weltall raus.
Als ich die technischen Dinge erledigt hatte und der Shuttle endgültig wieder auf Kurs war, versuchte ich, die Sache irgendwie auszureden. Aber Biggi nannte mich nur immer wieder einen Idioten oder dummen Arsch und ärgerte sich, was sie wegen des Scheißmondfluges alles versäumt hatte.
Dann befreiten sich auf einmal die Mäuse aus ihrer Versuchsanordnung und schwebten schwerelos im Cockpit herum.
"Schau doch, Biggi, die Mäuse, sind sie nicht lustig?" sagte ich.
Aber Biggi sah nicht hin.
Irgendwann später stieß sie sich von ihrem Aussichtsplatz ab und schwebte zum Funkgerät rüber. Im Mondlicht glich ihre Silhouette einer Fledermaus ohne Flügel. Der bestaussehendsten, eingeschnapptesten, einen zum Wahnsinn treibendsten Fledermaus, die man sich vorstellen kann.
Sie landete auf dem Funkhocker und nahm den Telefonhörer ab. Eine Zeitlang horchte sie. Dann sah sie den Hörer fragend an.
"Der Störsender!" fuhr es mir in den Kopf. Ich stürmte zum Schalterkasten.
Kaum hatte ich den Sender herausgerissen und die wichtigsten Leitungen wieder angeschlossen, füllte der Shuttle sich mit den besorgten Rufen der Bodenkontrolle:
"Hallo, Mission LoveBoat! Hallo, da oben, könnt ihr uns hören?"
Die Besorgnis der Bodenkontrolle war absolut gerechtfertigt. Wir hatten uns seit Stunden nicht mehr gemeldet.
"Alles okay. Wir hören euch laut und deutlich." bestätigte Biggi.
Ich versuchte gerade, mich mit Wackelkontakten in unseren Mikros rauszureden, als die Verbindung noch einmal abbrach. Für ein paar Sekunden war die Leitung wie tot, dann meldeten sich die Stimmen meiner Freunde bei der ESA.
"Stefan, du Idiot, jetzt geh schon ran!"
"Hallo, Leute." sagte ich vorsichtig.
Ein paar Minuten lang ließen meine Kumpels jetzt Dampf ab, dass sie mich nicht weiter unterstützen könnten, dass sie ihre Köpfe ohnehin schon meterweit rausgestreckt hätten und dass ich jetzt metertief in der Scheiße stecke, und dass sie mich nicht mehr decken könnten, wenn es bis zu einer Anklage vorm Europagerichtshof kam, was sie mir jetzt schon garantieren könnten. Das Schlimme war, dass meine Freunde recht hatten. Schließlich war ich es, der die Vereinbarungen gebrochen hatte.
Zum Ende hin wurden sie dann nochmal versöhnlicher.                                                                                    
"Immerhin," sagten sie, "wenn eure Bodenproben das zeigen, was wir erwarten, dann sind euch wenigstens noch ein paar Orden sicher!"
Ich starrte durchs Heckfenster. Die Tasche für die Bodenproben lag immer noch im Krater. Ich hatte sie total vergessen. Genauso die Videokamera. Das hieß, die nächste Mondmission würde sich spielend die Tragödie, die ich eigentlich vertuschen hatte wollen, zu Gemüte führen können.
Biggi schien auf einmal zu realisieren, was ich alles verbockt hatte, und sah mich so befremdet an, als wäre ich irgendein Außerirdischer.
"Du bist so ein unvorstellbarer Verlierer, Stefan." sagte sie, ihren Hörer noch immer in der Hand. Dann tippte sie die Nummer ihrer Mutter.
Während Biggi in der Folge ihrer Mutter und ungefähr hundert anderen Leuten ihr Herz ausschüttete, gelang es mir, die Bodenkontrolle davon zu überzeugen, dass ich geistig noch zurechnungsfähig war.
Dann meldete sich plötzlich Melanie, meine frühere Verlobte. Melanie ist so ziemlich der zuvorkommendste Mensch auf der Welt, aber diese pausenlosen offenen Gespräche hält irgendwann kein Mensch mehr aus. Melanie ist einfach nicht fähig von ihrer Arbeit abzuschalten, sie führt Therapiegespräche vierundzwanzig Stunden am Tag. Irgendwann treibt das jeden die Wände hoch.
"Willst du sprechen, Stefan?" fragte sie so ernsthaft und ehrlich, wie nur Mel es kann.
Ich schlug schreiend auf ein paar Armaturen ein. Da schalteten sie Melanie wieder aus der Leitung.
Biggi war inzwischen alles egal. Sie übersah mich und hantelte sich zu ihrer Schlafkoje rüber. Plötzlich fiel mir ein, dass ich dort vor unserem Mondspaziergang in froher Hoffnung das Geschenk meines Chefs deponiert hatte. Ich stürzte auf die Koje zu, doch Biggi hatte das fein verpackte Paket schon in der Hand. Sie machte es auf.
"Was ist das?" fragte sie scharf.
"Ein Negligee." sagte ich.
"Das seh ich auch." gab sie zurück. "Und die Bommel an den Enden, wozu sind die gut?"
"Damit es schwebt.."
"Was?"
"Es ist ein Raumnegligee. Wenn man es in Schwerelosigkeit anzieht, schwebt es automatisch nach oben."
"Du Schwein!"
Sie warf mir wütend die Schachtel auf den Kopf und schwang sich in die Koje. Ich versuchte nochmal mit ihr reden, aber sie sah mich jetzt nicht mal mehr an. Sie schluckte ein paar Schlaftabletten und wachte nicht mehr auf bis zur Landung.

Vor ein paar Wochen hat mir Ingo, mein Therapeut, dieses Zitat von DJ Versager gegeben, das ich mir übers Bett hängen sollte. Ich hab es über die Kaffeemaschine geklebt. Es lautet:

Drei Tage lang quasselte sie am Telefon belangloses Zeug.
Einem ausgehungerten Blauwal gleich verschlang ich jedes einzelne Wort…

Ich lese den Spruch jetzt jeden Morgen beim Kaffeemachen, und ich glaube schon, dass ich ihn irgendwie verstehe, aber ich finde halt, dass er nicht ganz zutrifft. Irgendwie reduziert er Biggi doch. Sie ist doch ein Mensch, denkt und hat Gefühle, Gefühle, die ich nicht kapiert hatte, die ich vielleicht auch gar nicht kapieren wollte.
Jedenfalls sind wir nach der Landung zwar noch miteinander die Gangway runter, aber wir haben kein Wort mehr miteinander gesprochen. Wir haben uns bis heute nicht wiedergesehen.
In den ersten Wochen danach gab Biggi ungefähr fünftausend Exclusivinterviews, so dass ich bald vor der ganzen Welt blamiert war. Meine Freunde fingen an, mich zu verachten oder lachten mich aus, weil ich inzwischen als peinlichster Mensch auf Erden galt. Meine Kumpels bei der ESA saßen bald alle auf der Straße. Mein letzter Kontakt mit ihnen war eine kurze Nachricht, dass sie für nichts garantieren könnten, falls ich ihnen mal unter die Finger kommen sollte.
Mein Leben hatte sich in Folge der Mondaktion völlig verändert. Durch den Skandalprozeß hatte ich meinen Job und mein letztes Geld verloren, und dabei hatte ich immer noch Glück gehabt, weil ich nur Bewährung wegen Missbrauchs von Steuergeldern bekam.
So zog ich mich zurück, lebte billig und deprimiert, ständig verfolgt von höhnischen Fernseh- und Radioteams. Dazu kam, dass ich von Biggi immer noch nicht loskam. Ich glaubte nach wie vor, dass wir füreinander geschaffen waren. Ich wollte nichts anderes, als mit ihr zusammen zu sein.
Als die nächste Mondmission dann meine Kamera fand, wurde ich nochmal zum Gespött der Welt. Das Video verkaufte sich ein paar Millionen mal, vom Internet nicht zu sprechen. Von dem Geld sah ich natürlich keinen Cent, weil die Kamera ESA-Eigentum war, und weil ich der ESA auf dem Papier immer noch achthundert Millionen schulde.
Mittlerweile hat Biggi ihre eigene Talkshow. Ich nehm mir alle ihre Folgen auf, auch wenn Ingo das bei unseren Sitzungen immer als Erstes beanstandet. Er meint immer, ich sollte den Blick nach vorne richten und mich mit anderen Dingen beschäftigen, neue Hobbies anfangen und so. Aber das ist nicht so leicht.
Gestern habe ich in der Selbsthilfegruppe Suleika kennengelernt, eine Sultanstochter aus dem Morgenland. Der Sänger der erfolglosen Band Saukopf hat sie drei Jahre lang finanziell ausgenommen und verarscht. Jetzt ist sie ein nervliches Wrack, das erst langsam wieder zu sich findet.
Wer weiß, letzte Nacht träumte ich von einem Computerspiel. Suleika und Biggi spielten darin zwei Weltraumritter, die gegeneinander kämpften. Mit ihrem arabischen Laserschwert schnitt Suleika Biggi ihre langen Haare und die superlangen Beine ab. Daraufhin verwandelte Biggi sich in einen riesigen, irgendeine grünliche Flüssigkeit speienden Drachen und flatterte davon in Richtung der Berge, die die Hintergrundlandschaft des Spiels bildeten. Suleika senkte ihr Schwert, vom Kampf noch ganz außer Atem, und lächelte mich an.



Sie lasen: Die Mondpleite von Stefan Schlüter

Der Herausgeber:
Mit Hilfe des selbstgedrehten Videofilms und der Aufzeichnungen der Kontrollinstrumente lässt sich die von Schlüter beschriebene Expedition zu großen Teilen nachvollziehen. Die Ergebnisse der Materialauswertung stimmen mit dem Bericht des Autors so weitgehend überein, dass man sagen kann: Im Rahmen seiner Möglichkeiten sprach der Verfasser die Wahrheit, mit allerdings einer merkwürdigen Ausnahme.
Ob Stefan Schlüter diese Episode nur einfach übersah, für nicht wichtig erachtete oder sie bewusst ignorierte, ist heute nicht mehr eindeutig zu klären. Die Interpretationen weichen in diesem Punkt weit auseinander. Mögliche Motive gäbe es einige, genannt sei hier nur der allgemein für am bedeutendsten erachtete, der Versuch nämlich, Biggi, die mittlerweile zu großer Prominenz gelangt war, zu decken.
Der Vorfall ereignete sich etwa vier Stunden vor der Landung auf dem Mond und sei hier, zur abschließenden und vollständigen Information, wörtlich zitiert:

Völlige Stille. Auf den Bildschirmen flimmern Börsenkurse, Biggi sitzt angeschnallt in deren Betrachtung versunken. Stefan schwebt in der Küchennische, in der Hand eine große Tube mit Flüssigroastbeef. Seine Augen sind tränenfeucht, sein Blick ist auf Biggi fixiert.
Die Lichter gehen aus, das Schiff schaltet in den Nachtmodus. Fünfzehn Minuten vergehen. Auf Biggis Gesicht spiegelt sich matt das Leuchten der Bildschirme. Stefan in der Nische ist nur noch eine düstere Silhouette. Fast übermächtig der Sternenschimmer durch die Fenster.
Biggi?..
Ja?..
Biggi..
Ja, was ist denn? Mein Gott..
Biggi, du hast seit 56 Stunden nichts mehr gegessen.
So ein Quatsch.
Biggi, du musst et-
Natürlich hab ich was gegessen. Wie kommst du denn drauf, dass ich nichts gegessen hab?
Biggi..
So ein Scheiß.
Biggi, ich hab die Vorräte kontrolliert.
..Spionierst du etwa hinter mir her? Du spinnst doch! Und außerdem hab ich was gegessen, ich hab was mit reingeschmuggelt.
Was denn?
..Ein paar Snickers.
Biggi, du hast nichts mitreingeschmuggelt.
Natürlich hab ich. Woher willst du denn das wissen?
Biggi, du hattest nichts dabei, nur dein Schminkzeug, deine Klamotten und die Plüschtiere.
Genau, ich hab sie in den Plüschtieren versteckt.
Biggi, du musst etwas essen.
Sag mal, was ist denn los mit dir? Spinnst du? Kümmer dich doch um deinen eigenen Kram.
Biggi, du brauchst Kraft auf dem Mond.
Laß mich doch in Ruhe. Da, schau! Jetzt hab ich den Aktienjump verpaßt. Scheiße nochmal.
Biggi, du musst was essen.
He, komm bloß nicht näher mit deiner Scheißtube.
Das ist Roastbeef. Das magst du doch.
Aber nicht jetzt! Ich bin satt bis obenhin. Hau ab! Was willst du denn?
Biggi, du musst..
Hau ab! Fass mich nicht an!
Biggi,-
Du Schwein! Du-gl-gl-gl...(hustet) Schwein! Drecksau! Arschloch!
Das tut dir nur gut!
Ich glaub, ich muss kotzen… Wixer. Du Wixer du!!
(Stefan hantelt sich wortlos wieder zur Kochnische, wirft die leere Tube in den Abfallkorb.)