Sonntag, 3. Oktober 2010

Armageddon



Armageddon

Es herrscht Krisenstimmung in den USA und weltweit. Ein gigantischer Planetoid schießt geradewegs auf die Erde zu, und die Menschheit hat berechtigten Anlass zu der Befürchtung, dass eine Kollision der beiden den Planeten zur Gänze vernichten könnte.
Fieberhaft sinnen die Regierungen der Erde auf Auswege. Ad hoc und zur Sicherheit beginnt man schon mal mit dem Bau von vier Raumschiffen auf dem absolut neuesten Stand der Technik.
  Einen Tag nach Bekanntwerden der Bedrohung präsentiert die NASA in den USA einen Plan. Sie will den Planetoiden mit den schärfsten Nuklearwaffen aller Zeiten in die Luft sprengen, die Waffen dazu habe man schon. Problematisch sei nur, dass man die Bomben dabei fix im Inneren des Planetoiden deponieren müsse, ansonsten habe der ganze Plan keinen Zweck. Zudem habe die NASA nicht gerade viel Erfahrung im Bohren. Tackern, Fräsen, Kleben, das alles beherrscht sie schon von der Raumstation ISS her, aber Bohren, das war schon immer das Schwierigste, erst recht natürlich jetzt, wenn es um Heil und Auskommen der gesamten Menschheit geht und man nur einen Versuch frei hat.
Don M, ein Mann mit kläffender Stimme, Vollbart und einer Vorliebe für alte, ausgewaschene Karohemden, ist ein besonders sympathisches und unkonventionelles Mitglied der NASA-Führungsriege. Kurz nach Vorstellung des NASA-Plans, während einer geheimen Sitzung, hat Don M plötzlich eine Idee, wie man das Bohrproblem angehen könnte.
"Amerika hat doch die besten Bohrleute auf der Welt!" erinnert er die Umsitzenden. "Warum holen wir uns nicht einfach unsere amerikanischen Ölbohrer. Die bohren sonst doch auch unter allen möglichen Bedingungen!"
Der Präsident, der Geheimdienstchef und der Rest der  NASA-Führungsriege, allesamt Pragmatiker vom Scheitel bis zur Sohle, sind sich im Klaren darüber, dass etwas getan werden muss, und zwar gleich. Außerdem spüren sie, dass Don M's Vorschlag im Moment die erfolgversprechendste Lösung darstellt. So brauchen sie nur einige bedeutende Blickkontakte, um sich von ihrer gegenseitigen Zustimmung zu überzeugen. Sofort leiten sie über ihre tragbaren Telefone alles Notwendige in die Wege.
Am nächsten Morgen, Floridazeit, machen sich Hubschraubereinsatzcrews unter Führung von Don M zum Golf von Mexico auf, wo sich die besten amerikanischen Bohrteams gerade geschäftig tummeln.
Don M hat alles in allem vier Teams im Auge, und zwar die von Bob, Joe, Moe und Bruce, vier ungeschlachten Typen, die kein Blatt vor den Mund nehmen, denen beim Bohren aber auch keiner was vormacht.
Zu Anfang leisten die vier Chefs noch Widerstand. Sie hätten Aufträge zu erledigen, wüssten auch nicht, wer Don M sein solle, und von einem Planetoiden hätten sie noch nie was gehört. Außerdem hätten sie gerade jede Menge Arbeit. Wenn Don M mit seinen Gel-gescheitelten Kaugummikauern also nicht von der Plattform fliegen wolle, dann solle er jetzt besser die Flossen in die Hand nehmen und abflundern.
Don M, der sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein scheint, rührt sich nicht von der Stelle. Mit einem Lächeln, das seines kompakten Vollbartes wegen nur an seinen Augenwinkeln zu erkennen ist, zieht er stattdessen seinen Ausweis heraus und meint:
"Wie wär's dann damit?"
Als die Bohrmeister das Großgedruckte auf Don M's Ausweis, den dazugehörigen Blankoscheck des Präsidenten und die gezückten Waffen der NASA-Sicherheitsleute sehen, schwenken sie sofort um und sind ohne weitere Umschweife dabei.
Man bringt die vier Chefbohrer mit ihren Teams in das zentrale NASA-Ausbildungslager, wo sie erst mal eine zweiwöchige Grundausbildung absolvieren, und wo es, wie man sich denken kann, zu einer Reihe fast humoristischer Konfrontationen zwischen den auf Ordnung, Benimm und Verantwortung gedrillten NASA-Offizieren und den stinkenden, schmutzigen, bärbeißig-bierbäuchigen, über alles und jeden prinzipiell loskalauernden und -grölenden, in ihrer Arbeit immerhin aber ebenso verantwortungsvollen Ölbohrmeistern kommt.
Don M aber hat immer sein wachsames Auge auf seine Leute gerichtet. Er schlichtet mit weisen Worten, wenn Streit aufkommt, und greift mit flinker Faust ein, wenn man sich die Köpfe einzuschlagen droht.
Am Ende der zwei Wochen hat man sich zusammengerauft, und die NASA-Mechaniker erklären die Spaceships für startbereit.
Im Eiltempo befördern Düsenjets alle Beteiligten zum Raumbahnhof in Süd-Florida.
"Peace!" erwidern die Astronauten, teilweise voll innerem Widerstehen mit den Zähnen knirschend, teilweise auch äußerst unbeholfen, zum Abschied noch Don M's Hippie-Gruß von der Startplattform. Dann starten die vier Raumschiffe, jeweils mit einem NASA- und einem Ölbohrteam beladen, ins All.
Die erste Zeit über verläuft die Reise zu dem Planetoiden, welcher der Erde mit Getöse und schnellen Einblendungen immer näher rückt, ohne Zwischenfälle. Dann, etwa auf halbem Weg, als man sich gerade einem gefährlichen Asteroidenfeld nähert, kommt es auf dem vierten Schiff zum ersten handfesten Streit. 
"Ich bin also ein Wichser, was?" brüllt Bruce, der Boss des örtlichen Bohrteams, bereits explodierend vor Wut, auf Jonathan, seinen Astropiloten ein.
"Was? Nein - ehrlich, Bruce!" antwortet Jonathan, verzweifelt um einen freundschaftlichen Ton bemüht. "Ich möchte nur, dass alle sich anschnallen, solange wir das Asteroidenfeld durchqueren. Das ist wahnsinnig gefährlich, bitte, es kommt dabei zu unglaublichen Fliehkräften!"
Bruce kommt Jonathan noch ein Stück näher und zischt mit grausiger Stimme.
"Ich bin also ein Scheißwichser, was?"
"Nein, bitte, Bruce," fleht Jonathan, "schnallt euch an. Es ist verdammt gefährlich, wenn ihr während der Ausweichmanöver frei im Raumschiff rumlauft!"
Auch die besorgte Bodenkontrolle schaltet sich nun über Funk aus Houston ein und fragt, was denn da oben los sei. Doch Bruce hört oder versteht nicht, auf jeden Fall reagiert er nicht und schlägt Jonathan gerade die Zähne ein, als ein mittelgroßer Asteroid ihr Raumschiff geradezu pulverisiert.
Moe und seine Leute bekommen das alles in ihrem Raumschiff natürlich live mit, und da Bruce Moes bester Freund war, gibt es für Moe jetzt kein Halten mehr. Wild fängt er an, auf Sir Wilfried, seinen Piloten, einzutreten, und rasch ereilt das Raumschiff der beiden dasselbe Schicksal wie jenes von Jonathan und Bruce.
Für kurze Zeit droht die Situation nun endgültig aus den Fugen zu geraten, und nur unter Aufbietung all ihrer Überredungs- und Besänftigungskünste gelingt es Armand und Willy, den beiden anderen Astro-Piloten, Bob und Joe mit ihren Bohrteams, die alle miteinander kurz vor dem Ausrasten sind, in ihren Sitzen zu halten.
Schließlich aber haben die zwei verbliebenen Raumschiffe den Asteroidengürtel glücklich durchquert, und Armand und Willy rechnen den Kurs zur Sicherheit nochmal nach. Als sie das Ergebnis genauer betrachten, stockt ihnen der Atem. Es zeigt eindeutig, dass ihre Spaceships auf ihrem derzeitigen Kurs weit an dem Planetoiden vorbeizielen. Besorgt, doch ohne ihre Besatzungen etwas merken zu lassen, funken sie zur Bodenkontrolle, damit diese alle Daten noch einmal durchrechne.
Fieberhaft macht man sich im NASA-Hauptquartier an die Arbeit. Am Ende kann man dort die Ergebnisse aus dem All nur bestätigen. Die Raumschiffe zielen tatsächlich an dem Planetoiden vorbei, so weit, dass kaum noch Aussicht besteht, das Gestirn zur rechten Zeit zu erreichen. Sofort funkt man an die beiden Astropiloten zurück.
In Windeseile führen Armand und Willy die von der NASA empfohlenen Kurskorrekturen durch. Danach berufen sie eine Videokonferenz ein, und Armand erklärt in ernsten und gemessenen Worten als legitimierter Expeditionsleiter den Besatzungen die Situation, während Willy ihn mit gelegentlichen Einwürfen dabei unterstützt.
Im Anschluss an die Ausführungen der beiden herrscht betroffenes Schweigen.
"Da habt ihr uns ja eine schöne Scheiße eingebrockt." meint Joe schließlich als Erster, und Bob, der als Videohologramm anwesend ist, stimmt seinem Freund vom anderen Raumschiff her zu.
Doch sind diese Äußerungen nicht bösartig gemeint, und niemand will jetzt noch Streit anfangen. Der Wunsch, die geliebte Heimat zu retten, vereint die Anwesenden in der Zwischenzeit ohne Ausnahme.
Die nächste Stunde verstreicht mit den verzweifelten Versuchen der beiden Schiffe, sich dem Planetoiden auf einer schrägen Bahn mit möglichst hoher Geschwindigkeit anzunähern. In ihrer Ratlosigkeit entschließen sich die Besatzungen sogar, alle nicht absolut lebensnotwendige Ladung, inklusive ihrer beiden Not-Tanks mit Sauerstoff, abzusprengen, um dadurch weiteren Schwung zu gewinnen, doch es hilft alles nichts.
"Es ist zu spät." erklärt Armand verbittert seinen Kollegen. "In sechsundzwanzig Stunden überschreitet der Planetoid den Point of complete destruction. Ab diesem Zeitpunkt bedeutet sein Zusammenprall mit der Erde, selbst wenn wir ihn vorher noch sprengen könnten, so gut wie sicher das Ende der Menschheit."
"Das kann doch nicht alles sein!" schreit Bob, der mit seinen Leuten jetzt andauernd per Videokonferenz zugeschaltet ist. Der Gedanke an die Hoffnungslosigkeit der Situation treibt ihm Tränen in die Augen. "Die Erde darf nicht verrecken!" fügt er schluchzend hinzu.
Auch Joe steht emotional unter Strom. Wütend und nachdenkend presst er vor Anstrengung die Kiefer zusammen.
Schließlich schlägt er mit der Faust auf den Tisch und verkündet: "Scheiße, wir müssen einfach systematisch vorgehen!"
Doch Armand schüttelt mutlos den Kopf. "Es hilft alles nichts, Joe. Wir haben keine Chance mehr." sagt er, und Willy stimmt ihm mit einem mehrmaligen, bedrückt-betroffenen Kopfnicken zu.
"Es muss aber eine Scheiß-Lösung geben!" insistiert Joe. "Reißt euch doch mal zusammen, Scheiße nochmal! Es gibt immer eine Lösung!"
Armand und Willy sehen sich nur kurz an. Unverkennbar haben die beiden ihren Glauben auf Rettung verloren.
Bob ballt beschwörend die Fäuste. "Gott hat die Menschen auserwählt, also lässt er uns auch nicht hängen!" ruft er.
Joe wendet sich erneut an die Piloten. "Die Situation ist doch die: Wir haben Bomben, die das Monstrum sprengen können, und das Monstrum muss so schnell wie möglich gesprengt werden. Das ist doch richtig so, ja?"
Armand und Willy nicken.
"Die Frage ist also, wie wir die Bomben möglichst schnell zu dem Planetoiden hinbringen, und die Raumschiffe sind für diesen Zweck nicht geeignet, weil sie zu langsam sind."
"Auch das stimmt, Joe." bestätigt Armand.
"Warum nehmen wir also nicht zwei oder von mir aus auch drei von den Raumschifftriebwerken, packen unsere Bomben drauf und jagen sie dem Monster hinterher. Bloß damit wir irgendwas tun!"
Armand überlegt kurz und antwortet dann besonnen: "Die Wahrscheinlichkeit, dass die Raketen, wenn sie denn zu bauen sind, dem Planetoiden nahekommen, geschweige denn ihn treffen und auch noch vernichten, ist gleich null, aber ich sehe, was du meinst, Joe. Wir müssen einfach tun, was menschenmöglich ist, auch wenn wir damit vielleicht unseren eigenen Tod im Voraus besiegeln."
"Genau." erwidert Joe und nickt noch einmal entschlossen.
Die Funkverbindung zur Bodenkontrolle ist inzwischen längst abgebrochen. So beschließen die verbliebenen Anwesenden im Alleingang ihr weiteres Vorgehen. Beide Besatzungen sind einverstanden.
Außenaufnahmen zeigen, wie die beiden Raumschiffe sich langsam näherkommen und dann zusammenschließen. Unter zeitlichem Hochdruck und mit beinahe übermenschlicher Energie machen alle Verbliebenen sich daran, drei ihrer vier Raumschifftriebwerke auseinander zu nehmen, miteinander zu verbinden und daran ihre gesamte Sprengladung zu koppeln.
Nach erstaunlich kurzer Zeit meldet man die Rakete einsatzbereit, und schießt den Flugkörper ohne weitere Verzögerung ab.
Ruhig blicken die Besatzungen in Richtung des entschwindenden Projektils. Sie wissen nicht, ob sie den Rückweg zur Erde überleben werden. Bei ihrem jetzigen, verringerten Tempo und mit nur mehr einem übrigen Triebwerk ist es mehr als wahrscheinlich, dass sie, da vorhin auch ihre Wasser-Notration abgesprengt haben, verdurstet sein werden, noch bevor sie die Erde erreicht haben.

Ohne von einigen, von der Menschheit noch schnell abgeschossenen Raketen groß behelligt zu werden, schlägt der Planetoid auf der Erde ein, wirft sie aus der Umlaufbahn und verwüstet sie völlig.
Eine hundertjährige Nacht senkt sich über den nun allein noch von Mikroorganismen bewohnten blauen Planeten. Er pendelt sich, zumindest vorläufig, auf einer seiner früheren ähnlichen Bahn um die Sonne ein, ohne seinen früheren Mond, dafür aber von zwei neuen Trabanten umkreist, zwei der vier modernsten Raumschiffe, die jemals gebaut wurden, an Bord die schwerelosen, gefrorenen Leichen ihrer an Exsikkose verstorbenen Besatzungsmitglieder.