Bisweilen nun doch ein wenig Lyrik, hier für ein darling-project aus vergangenen Tagen.
Die Idee kam Ende '97, danach, im Zuge der privaten Haiku-Welle, die sich damals Bahn brach, wurde die Arbeit rasch fertig gestellt. Das Konzept völlig unangepasst, voll naivem Elan, man erkennt eine Handvoll zeitverhafteter Anspielungen, andere wieder sind von zeitlosem Wahnsinn - viele Haiku sind grotesk, plakativ und ad hoc, für staubige Puristen kaum Haiku zu nennen, gegen Ende zu sind aber auch einige von Wert dabei.
Heiku, aus dem Leben des größten Dichters
Deutschland-Europa-Haiku?
Wie kommt ein Europäer auf sein erstes Haiku?
Sie glauben das schon zu wissen?
Nein?
Dann erlauben Sie mir, Ihnen das Ergebnis meiner umfassenden, diesbezüglichen Untersuchungen zu präsentieren:
Die zu leistende Vorarbeit (jene äußerst selten anzutreffende Fertigkeit betreffend, Original-Haiku zu erstellen), gestaltet sich im Großen und Ganzen, mit mehr oder weniger kleinen Abweichungen, im Durchschnitt etwa folgendermaßen:
Man nehme während einer halbwegs behüteten Jugendzeit nur kleine, gezielte Dosen an Information über Gedichte im Allgemeinen und Haiku im Besonderen zu sich, etwa als Dreizeiler in einem 2000 – Seiten – Horror-Fetzer eines amerikanischen Thrillerautoren, als Höhepunkt einer ruhigen Passage in einem schlechten Karatefilm - oder als Versprecher des Lehrers im Verlaufe einer unendlich lang sich hinziehenden Deutschstunde, während welcher man sich verzweifelt damit beschäftigt sieht, die Aufmerksamkeit seiner Banknachbarin auf sich zu lenken.
Im Alter von etwa sechzehn Jahren werde man sich dieser explosiven Mischung aus Information, Exotik und Langeweile bewusst und lasse sie ungefähr neun weitere Jahre an einem ruhigen Ort (empfohlen wird eine Nebenwindung im Cortex der rechten, wahlweise auch der linken Gehirnhälfte) stehen.
Dann lese man in einer Anthologie der hundert besten Gedichte der Welt, in die man versehentlich fünfzig der schlechtesten hineingemischt hat, eine seltsam karg anmutende Übersetzung von Bashos zweitausendunderstbestem Haiku und merke sich in etwa dessen Gestalt.
Mit dieser Ergänzung versehen, lasse man die Zubereitung ein weiteres Jahr bei erhöhter Temperatur ausgiebig köcheln, gebe eine Prise falsch empfundenes Glück, einen halben Liter Depression sowie zwölf Deka Selbstmitleid hinzu.
Dann lese man ein Buch mit klassischen Haiku und bezeichne noch am selben Abend, während man versucht, einer schönen Frau zu imponieren, Konishiki als Haiku-Klassiker und lasse die angesprochene Frau Japanerin und Konishikis frühere Techniktrainerin sein.
Endlich lasse man es Herbst werden, spät im Herbst, lasse es Samstag sein, früh am Morgen und lasse vergangene Nacht den ersten Schnee gefallen sein. Man setze sich an den Schreibtisch, verbrenne sich am zu heißen Kaffee die Zunge und starre etwa eine viertel Stunde lang aus dem Fenster.
Begleitend lasse man sich ungefähr folgendes denken:
Osterhasen im Einkaufshaus.
Winter wird's.
Zum Karfreitag
ein fürstliches
Fischmenü!
Im Anschluss werde man äußerst aufgeregt, warte eine gute Minute und lasse das Gefühl in sich entstehen, man sei bereits im zehnten Monat mit 150lingen gehirnschwanger und merke erst jetzt, dass man sich mitten in den Presswehen befindet.
Sodann lasse man sich etwa 150 Haiku auf einmal einfallen und schreibe die nächsten zwei Stunden ununterbrochen, wie ein Irrer, mit subtilen Schweißperlen auf der Stirn.
Schließlich lehne man sich befriedigt zurück, fühle sich absolut großartig, gebe sich das Gefühl, ein Genie, ein Neuerer, ein Stürmer und Dränger, ein junger Wilder, im mindesten aber Issas Reinkarnation und bald ein Millionär zu sein.
So lasse man etwa einen Tag vergehen, schaue sich das Geschriebene noch einmal an und merke, dass alles wahr ist. Wandelte je ein größerer Genius auf Erden?
Einige Kostproben aus jener ersten Geniezeit:
Der Radiomoderator
in Bestlaune:
Ein Tag vor Dianas Tod.
Betroffen spricht
der Radiomoderator
wegen der Trauergemeinde:
Der Tag, an dem Diana starb.
Dirndlkleid im September:
Frau auf dem
Oktoberfest.
Schlange
am
Flug-
hafen-
schalter
:
Ein
Tag
vor
Weih-
nach-
ten.
3 Motoradfahrer in
der Notaufnahme:
Erster Frühlingstag.
Ja, ich gebe es zu. Ich bin der größte lebende Dichter, wahrscheinlich der Größte in der Geschichte. Bin ich deshalb hochmütig, weil ich dies sage? Ist es nicht vielmehr meine ungemeine Klarsicht der Realität?
Nun aber endlich beiseite getreten, nimmer satter, seit den sonnigen Tagen der Antike sein fröhlich Unwesen treibender Schalk!
Ha, ha, Sie werden jetzt sicher fragen, ist das alles wahr, ist dies der große Künstler, den ich seit meinen Deutschstunden bewundere, dem ich seit meiner Kindheit in Form von Buch-, Platten- oder Videokäufen huldige?
Nein, ganz offensichtlich war der ganze bisherige Text erfunden, aber hier sehen Sie, was gut verfasste Fiktion zu bewirken vermag. Voller Anteilnahme malten Sie sich eine behütete und dennoch von Qualen überschattete Jugendzeit aus, beschwerliche Jahre des falschen Studiums und der Orientierungslosigkeit, obwohl Sie alle es durch mein ungewollt so exponiert in der Öffentlichkeit stehendes Leben ja um ein Gutes besser wissen. Seien Sie also wachsam. Des größten Dichters Schalk kann Ihnen in diesen Zeilen allüberall begegnen.
Sie fragen, wie ich zum besten Dichter wurde? Nun, vieles fiel mir einfach zu, Talent, beste Gene, Erziehung an besten Schulen. Der Rest war härteste Arbeit, bis in die Sphäre des Un-, ja, des Übermenschlichen hinein. Glauben Sie mir, drängte mich nicht mein Gewissen in die höchste Kunst, ich ließe es langsamer angehen, würde Manager eines Industrie-Konglomerats, Bundeskanzler oder etwas ähnlich einfaches, aber wie ich schon im Alter von Zwei, während auf dem Topf ich saß, feststellte:
Jedem Menschen, /
was er selbst sich /
zukommen lässt.
Nun aber endlich zum eigentlichen Anlass dieses humoristischen Exkurses, dieses literarischen Scherzes, einigen biografischen Notizen aus dem Leben des größten Dichters, eingebunden in höchste künstlerische Ausdrucksform. Denn, was zeichnet den großen Künstler aus? Richtig, es ist seine Biografie:
Genie, das der Verfasser zweifellos ist, Dichter, Allrounder, Alleskönner, eröffnete ich mein allumfassendes Oeuvre bescheiden im Moment der Geburt:
Hartes Neonlicht muss ich ertragen!
Gerne ertragen!
dichtet der Neugeborene
akzentfrei japanisch.
Neben dem schlafenden Knaben
liegt aufgeschlagen
Homer.
”Der Salzburger Fernsehturm
ein Phallussymbol ist.”
3-jähriger beim Winterspaziergang…
Erwischt bei ersten
wichtigen Interpretationen.
Mit 4!
Was ihm schon achtzehnmal fehlte,
waren Blauäugigkeit und Naivität,
notiert nüchtern
des Fünfjährigen Kinderhortakte.
Prägende Begegnung mit Sartre
in verlassenem Landhaus.
Mit 5!
Wo ist der kleine Patrick?
Auf dem Wipfel des höchsten Baums!
Flog hinauf wie ein Eichkätzchen!
Die Polynomdivision
als Gedicht!
Mit 7!
Bundesligareife,
flüstert der D-Jugendtrainer,
in diesem Alter...
"Nehmt euch ein Beispiel
am kleinen Patrick.
Macht die Hausaufgaben im voraus,
fürs ganze Jahr!"
Beim Gespräch
mit Tieren.
Aufgenommen von einem Amateurfilmer.
Kopfschüttelnd mit 8
ein zeitgenössisches Gedicht
lesend.
"Reim des Jahres 1979":
Funk-Punk!
König der Textanalyse!
nannte man jemand,
der noch mit Lego improvisierte.
Als DJ den Landfrauenbund
zu wütenden HipHop-Fans transformiert.
Mit 12.
Endlich!
Romane vollendet.
Mit 12!
In tiefer Meditation
selbst auf dem Slayer-Konzert.
Aufgenommen von einem Amateurfilmer.
365 Haiku
an einem Tag.
Mit 12!
Er selbst noch halbwüchsig, indes bereits prächtig gewachsen und anzuschaun, bemerkt der junge Dichter, wie ihm ein schüchternes und etwas unansehnliches Mädchen auffällig folgt:
Soso...
denkt das junge Genie sich,
nicht nur die schönen Frauen
laufen mir nach.
Was hältst du, ehrlich,
von meinem Gedicht?
fragt das Genie der
schüchterne Schulrat.
Dichterlesung vor
14000.
Mit 13.
Jongliert mit 13
verschiedenen Küchengeräten.
Mit 13!
Aufgenommen von einem Amateurfilmer.
Am Gipfel der
Kunst.
Mit 13!
Mit 15
den Ruhm
noch immer verachtend.
Im Alter von sechzehn besucht der Dichter für ein Jahr die Universität, vielfältige Fächer belegend, mehr jedoch, wie sich herausstellt, die Professoren zu lehren, als selbst viel Neues zu erfahren. Immerhin erschließen sich Erfahrungen von anderer Seite.
Sommersonne am
Badesee. Wo sind
die Bikinis!
In der U-Bahn winkt eine Frau in meine Richtung. Ich denke mir, so ist's recht, bis ich bemerke, dass sie einen Stutzer hinter mir meint.
Gut gewunken, Schönheit,
leider daneben!
Momente später bemerkt sie mich.
Kastanienblüten.
Kommt sie heut
in den Park?
Dies kann nur den Größten passieren:
Ein DIN A4-Blatt, bis an die Ränder gefüllt mit edelsten Haiku und Epigrammata, wahrscheinlich den Besten, geht mir verloren, irgendwo zwischen Uni und Hellabrunn. Anfangs glimmt mein Gemüt noch voll Bitternis, doch gewährt mein Genie mir Trost:
Immerhin,
durch den Verlust
zwei Haiku gewonnen.
Ich mag dich trotzdem,
buckliges Ersatzhaiku.
Der bewegten Studentenzeit anschließend: Jahre der Einkehr und Selbsterforschung.
Selbstlos Nächstenliebe
praktizierend.
Mit 17 und 18!
Schon Jahre früher
in einem Avant Garde-Film:
Patrick rennt in Schwarzweiß.
Preis "Carpenter der Weltliteratur",
verliehen von den Carpenters.
Mit 18!
"Reim des Jahres ‘89":
Bingo-Gringo.
The public years: Einer Zeit heftigster Auseinandersetzung mit der Politik- und Medienwelt
"Frau biss Elefant tot!"
Sommerloch in der
Nachrichtenagentur.
Die Wahrheit zu widerrufen
machte aus mir
nur einen von Diesen.
Bei meinem Anblick:
Wie 18000
so leise sein können.
Toter Mann
am Fuß eines Wolkenkratzers.
Einer hat sein Vertrauen missbraucht.
Kann die Wahrheit
so einsam sein?
Grad so wie du...
folgt tiefe Ernüchterung. Auch der größte Dichter kann nicht alles auf einmal verändern. Man braucht Geduld, man muss auch Kleines bewegen!
Aus dem Leben des reifen Dichters:
Avantgarde-Gedicht
"Eltern des Künstlers",
bestehend aus drei Worten.
Mit 19!
"Ein Gedicht!"
"Ein Gedicht!"
ruft ungeduldig
die Präsidentin der Vereinigten Staaten.
"Fiat Lux"
Schleichwerbung,
selbst in der Bibel.
Der bronzene Schimmer
meines nackten Körpers
im Abendzwielicht.
Affären mit Fürstinnen, Königinnen, etc.,
aber alles mit Maß und Ziel
und vor allem hundertprozentig
im Dienste der Kunst.
Gleich einem Riesenphallus,
der Münchener Fernsehturm.
Fünf "Austern"
im Kochführer
für meine manchmaligen Kochversuche.
Mein Golflehrer
mit dem Putter
den Rücken sich kratzt.
Zur Hochzeit vor
allem Wagner, mit Blasorchester,
versteht sich.
Vor einem Fünf - "Austern" - Hotel:
Meinen wertvollen Laptop zu tragen,
erscheint ein freundlicher Boy.
Ihn mit links überredet,
Buddhist zu werden,
den eiskalten Killer.
Auf der Fürstentour durch Disneyworld
96 tiefe Wahrheiten
sich mir erschlossen.
Welterfolge inkognito:
"Gen-Rap/Zen-Rap"
und "RuckyZucky2ooo" !
Während zwei Polizisten
am Pissoir
einen Koksdealer
in die Mangel nahmen,
wuchs hinter einer
der Klokabinen
einem verkannten Autoren
eine Ohrmuschel von vier Metern.
Den ganzen Tag
faul gewesen. Und doch,
für Milliarden gedacht…
Unser Kind!
flüstert schwach
meine glückliche Frau.
Diesen Januarmorgen
ertrug ich nur in meinem
vorgewärmten Luxusappartement.
Die volle Windel.
Das lachende Kind.
Inmitten von Prunkrosen
tauche auf - Ich,
in tiefer Meditation.
James Bond vertretend
stelle ich kalt: drei
korrupte Gangster.
Ode an den Bundeskanzler.
Live auf dem
Bundespresseball.
Meine Frau vertretend
stelle ich kalt: die köstliche
Götterspeise.
Den Kampf um die beste
Britpopband gewann überlegen
ein deutscher Solokünstler.
Die zahllosen Aktivitäten
meines Gehirns selbst
im Schlaf!
In der Nacht die Sonne
scheint in diesem Gedichte
weiter.
Ich schrieb sie gern,
die 2000 Autogramme
an einem Nachmittag.
Im Sommer
zum Fenster hereinfliegen,
die täglichen Säcke mit Liebesbriefen.
Eine außerirdische Kröte
sah ich am Morgen:
Es war meine Frau.
Der Morgen zu schön,
dacht ich um neun mir, für
Nur zwölf Gedichte!
Seid umschlungen,
Millionen...
Von meiner Frau mich trennend,
als ihr bester und wichtigster
Freund.
Im Traum schrieb ich die Rede für die UN,
so dass ich am Morgen
schon fertig war.
Nächtliche Pokerrunde
mit drei amtierenden
Staatsoberhäuptern.
Selbst der Elbtunnel:
Ein subtiles Phallussymbol.
Die schlanken Streifen
im Kühlergrill meines
Mercedes 600.
Noch immer
am Gipfel der Kunst
mit 27.
Jetzt, da der Dichter sein erstes Vierteljahrhundert bereits überschritten, fließt die Eingebung nicht mehr diesem jähen, täglichen Sturzbach gleich.
Eher zäh und langsam ergießt das Genie sich nunmehr, ich möchte sagen, eigensinnigen Lichtquanten gleich, die genau dann erscheinen, wenn man nicht hinschaut, oder sie nicht erwartet, in Art und Form edler Tropfen.
Lasst euch nur Zeit, edle Tropfen,
euer harrt ein Auffangbecken
von der Größe eines Swimming-Pools.
Der Herausgeber:
Der Dichter konnte sein Werk nicht mehr vollenden. Es folgt eine Auswahl aus seinem letzten Manuskript:
Versteckt unter einer
elefantösen Pelzmütze.
Der Russe da!
Kommst aus dem Staube
und kehrst als Fürst zurück.
Mein abgeschnippter Zehennagel.
Nur wer Verstopfung kennt,
weiß, was ich leide.
Jäh dem Boden zuflog
der Selbstmörder...
Käfer sah ich krabbeln
über Hände und Beine...
Alles braucht seine Zeit,
nur nicht, sie zu vergeuden...
Da ich sonst nichts hab’,
ess ich Hummer auch, ha, ha,
mit Nobelwein flambiert.
Auch eine Gottheit wohl las
meinen letzten Gedichtband..
Am frühen Abend
schwärmten ums Puff
erste Motten...
Über allen Gipfeln
ist Ruh.
Und die Kuh...
Gedicht "Streichquartett":
Ein Wort nur…
Im Tiefschnee
taucht unter
die eben noch springende Katze.
...
...
....
Der Herausgeber:
Auf dem Nachtkästchen des Verstorbenen fand man folgende Notiz:
Mama, schau,
flüstert der 28-jährige,
ein Boot auf dem Fluss.