Freitag, 29. Januar 2010

BOULEVARD DER GÖTTER – ZWEITER TEIL


Zweiter Teil des mythologischen Solos in Form einer Boulevardzeitung. Entstanden um 1999.


BOULEVARD DER GÖTTER – ZWEITER TEIL


"ICH SAH ODIN!"
sagt Ilsa F., tätig als Waschfrau an der Weser. "Gestern," erklärt die hübsche 29-jährige, die noch heute unter Schock steht und ärztlich betreut werden muß, "sah ich während des Wringens und Klopfens am Weserufer plötzlich, einige Ellen von mir entfernt, einen alten Mann mit grauem Bart und Augenklappe stehen. Er trug einen lindgrünen, gesteppten Angora-Wollmantel mit silbernen Vertikalstreifen und eine Reihe leuchtender Glühbirnen um den Kragen. Aus einer goldenen Schüssel kippte er Kartoffelschalen in die Weser. ER schien mich nicht zu beachten. Ich arbeitete einige Minuten weiter. Als ich mich umdrehte, war der alte Mann verschwunden.
War dieser Mann (siehe Schema) Odin, oder Wotan, wie die Germanen sagen? Lesen Sie weiter auf Seite 19.


Die Frauenseite-
Was ist nur los mit Helena?!
Sehen Sie hier, Helena vor vier Monaten, eine wunderschöne Fürstengattin, scheinbar ewig jung, von allen bewundert, die Bestgekleidete, unser aller Vorbild in einem hocheleganten, vierfach übergeschlagenen azurwollenem Peplos, an der Seite des stolzen Menelaos auf der Hochzeit der fünfzig Töchter des Thespios und der Megamede mit fünfzig ehrbaren Jünglingen.
Und dann hier – auf einem Steinrelief des Künstlers Schnauzeor von vor zwei Wochen. Vorgealtert sieht sie aus, abgehärmt, sie ist wohl gerade mit dem Zählen von Linsen, Erbsen oder einer anderen Gartenfrucht beschäftigt. Was immer geschehen sein mag, diese wunderbare Frau – schönstes Weib aller Zeiten und glückliche Mutter von Sechsunddreißig – hat Besseres verdient. Wer immer ihr das angetan hat, er muss sterben. Sachdienliche Hinweise bitte per Boten oder Steintafel an unsere Redaktion.


Werbung-
Bild: Ein hübscher Jüngling tanzt in einer elegant eingerichteten Wohnung. Er sieht uns an. Durchs Fenster sieht man irgendeine beliebige Akropolis. Subtext: "Leukon G. aus Kos: "Ich tanze nicht, ich lerne Skythisch!""


Werbung-
Zu sehen: Eine traurig-hübsche Hausfrau mit ansprechender Figur. Auf ihrer Tunika sieht man einige hübsche Rouge-Flecken. 'Frau Zanazikos aus Mykene: "Meine Tunika war blütenweiß, und sehen sie jetzt!.."
Garngnanko, unser Waschmaschinenexperte kennt diese Art von Flecken. Er selber sagt: Ja, meine Damen, Kalk ist gefährlich. Dies ist auch das, was ich meinen Kundinnen immer sage: Kalk ist gefährlich, besonders, wenn er nass wird. Deshalb, verwenden Sie Herauswaschen von Schminkflecken immer Calgon. Calgon schützt Sie vor gefährlichem Kalk und vor Schminkflecken. Calgon mit der Doppelwirkung. Nichts ist besser, darauf gebe ich, Garngnanko, der Waschmaschinenexperte, beim Zeus mein Wort. Calgon und nichts anderes als Calgon… – mit Ausnahme von CALGONIT, dem neuen, sensationellen Calgon in Form eines praktischen Mini-Quaders!"
Zu sehen: Dieselbe Hausfrau, noch hübscher, strahlend, in einer blütenweißer Tunika. Subtitel: "Sehen Sie nur: Keine Schminkflecken mehr, keine Verbrennungen durch Kalk, und dies alles durch meinen Geliebten Calgon!"


Werbung-
Superworkout mit Adonis!
Klare Konturen, ideale Muskelwölbung, straffer Po!
Erreichen Sie die V-Form in nur zwei Wochen!
Kaufen Sie jetzt den Trainingsführer 'Superworkout mit Adonis', mit durchgehend farbigen Illustrationen!
Hunderte haben es schon probiert!


Leserwitze:
eingesandt von Prof. Prof. Prof. Prof. Dr. Dr. Dr. med.rer.nat. phil.art.bl.bl.od.n.ix.fr.bo.etc. Bleibnichheimer von der Universität Frankfurt:

Lagen da doch, ja mein Gottchen nein! in einem mächtigen,/
ja mächtigen ahornig hülzernen Bett/
frustrieret um hübschliche, ja, ja, ja zu-/
geben müßt ich das, sehr, sehr hübschliche/
Kurtisan, die hübsch Gilgil, will mag darf ich
sie nenn so in selblich Uz hierinne/ lagen im Bett also da/
die Götter von Graecia, wie sie teilweis, Leut,/
teilweis sich selber geschaffen, frustrieret, weil, ja weil/
höret nach einichem hin und her jetzt die Pointe der Sach:/
in der Mitt des herrlich göttlichen Haufens lieget ja Gilgil!/
                            die saget mit niedergeschlagnen Augendeckelen,/
während um sie herumme alles frustrieret, haho:/
Ihr langeweilet mich, oh Götter von Graecia!
                                                           gewidmet meinen alten                                                                             Lederclubsesselfreunden Prof. Trorfix
                                                                                              (Univ. Frankfurt)
                                                und Prof. Prof. Prof. Prof. Dr. Dr.                                                          Dr. Staub und Asche etc. Karl Moor                                                                                                      (Univ. Göttingen)


Ganzseitige Werbung:
Groß sind die Taten des Griechischen Volkes, groß seine Entdeckungen, Gylippes erschloß Atlantis, Bombor gab Persern und Skythen Saures mit Schwertern und Bögen.
(schematisches Bild der Alpen in schwarz-rot)
Dort hinter den Alpen beginnt das Land der Barbaren, Weise lehren, der Orcus schüre von dort seine Feuer..
ERLEBEN SIE DIE ABENTEUER DER TAPFEREN HELDIN KNORKATO, TOCHTER DER GNARKO UND DES APOLL, IM LAND DER MONSTER UND BARBAREN!!
(verschiedene Action-Darstellungen der wohlgebauten Knorkato, mit Keule und Schwert bewaffnet, und einem Monster, das einer Mischung aus nordischer Oma und einer Medusa mit Haifischzähnen ähnelt.)
Bss-grrr-bs-bs!!!
Wer bist du? WAS bist du?
I bin de Bercht! Ich bin die Bercht! Je suis la Bercht, bs! Sono la Berchta!-
Sein magst du die Bercht jetzt/
                   gewesen sein wirst du die Bercht morgen!
Aarrgh! Bs! Schlag! röchl, ächz, bl, bs, bssss...
LESEN UND SEHEN SIE DIE SENSATIONELLE NEUE COMICSERIE AUS DER WERKSTATT DES KITIAS V.:               
"KNORKATO IM LAND DER BARBAREN, NÖRDLICH DER ALPEN!"

Früh am Morgen fuhr der Ozeanriese


Früh am Morgen fuhr der Ozeanriese in die Flussmündung ein. In Gruppen, auf automatische Boote verteilt, schwärmten die Passagiere zu tausenden an die Ufer aus, wo sie lautlos in die Hütten der Eingeborenen eindrangen, und Obst, Wein, Statuetten und allerlei andere Kleinigkeiten entwendeten.
Die Eingeborenen, welche alle noch schliefen, bemerkten von alledem nichts.
Später dann, am Vormittag, feierte man auf dem Dampfer ein großes Fest.

Schnucki, Katzengott


Schnucki, Katzengott, täglich symbolisch zu füttern mit Brekkies und Katzenmilch, Gassi zu führen durch Schnucki-Anhänger an der Gürtelschlaufe.

Das Leben, ein Opus 465


Das Leben, ein Opus 465.

Montag, 25. Januar 2010

BOULEVARD DER GÖTTER – ERSTER TEIL


Nordische und hellenische Götterwelt – vereint in einem kleinen Solo als Boulevardzeitung.
Entstehungszeit: 1998 oder 1999.



BOULEVARD DER GÖTTER – ERSTER TEIL


SCHLAGZEILE -
                   NUN AUCH NOCH DIE LINKE LUNGE!
Kurz nach dem Bekanntwerden der gestrigen Behauptungen Prometheus', sein Intelligenzquotient sei höher als derjenige der Götter Zeus und Hermes zusammengenommen, erscholl aus dem Olymp das Urteil, Prometheus werde wegen Blasphemie nun neben der Leber zusätzlich täglich einmal die linke Lunge herausgerissen. Ein zu diesem Zweck erschaffener Schwarm Webervögel werde diese Aufgabe übernehmen.
Wie heute aus dem Tartarus bekannt wurde, reagierte Prometheus mit der größtmöglichen Empörung auf die Verurteilung und forderte die Götter Zeus und Hermes zu einem mathematischen Duell: Er, Prometheus, könne jede beliebige Wurzel im Kopfe schneller ziehen als Zeus und Hermes zusammen, selbst wenn sie parallel geschaltet wären.
Bislang war aus dem Olymp zu dieser Herausforderung keine Stellungnahme zu vernehmen, jedoch behaupten inoffizielle Quellen, der innerolympische Druck auf Zeus und Hermes, die Herausforderung anzunehmen, nehme stark zu.
Über einen Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und zwei persischen Mathematikprofessoren, die heute am frühen Morgen auf einem fliegenden Teppich über Lemnos mit Kurs auf "Nordtessalien" gesichtet wurden, besteht ebenfalls Unklarheit. Aus dem Olymp war keinerlei Äußerung hierzu zu vernehmen. Gegen fünfzehn Uhr verkündete das Orakel von Delphi dann eine offizielle Nachrichtensperre.
Weiteres zu diesem Thema, siehe die Kommentare: 'Die Tyrannei der Sprachlosen' und 'Wer schweiget, der bleibet zurück, oder, wie sich der Olymp ins Abseits stellt.'


SPORT-
Nichts Neues von hier. In dieser Form ist Achilles derzeit in sämtlichen Disziplinen unschlagbar.


FENRIRS KOCHECKE-
Also, knuspriger Götterbein-Salat in kalt gepresstem Olivenöl ist ja schön und gut, wenn man die Beine vorher kräftig gewaschen hat, aber worauf ich an Feiertagen wirklich abfahre, das ist Gallischer Schneckenmatsch. Wenn ich mit meiner Freundin, der riesigen Schnirkelschlange von Stavanger  in unserem heimeligen, feuchtkalten unterirdischen Gletscher-Fjord-Loch hocke, und von draußen die absolute Dunkelheit des nordischen Winters nicht hereinleuchtet, dann gibt es für uns zwei Feinschmecker nichts Besseres. Zur Atmosphäre der Stillen Zeit passt dieser Matsch ganz ausgezeichnet, aber auch für andere Anlässe ist dieses geschmacksneutrale und vielseitige Gericht zu empfehlen.
Und so bereitet man den Matsch zu:

(1)
Man nehme gallische Weinbergschnecken (möglichst frische), enthause sie nicht (die Schale bildet eine wichtige Geschmackskomponente) und friere sie leicht an.
Menge: je nach Hunger, so viele wie möglich.
(2)
Man nehme die ausreichend erkalteten Schnecken (ihre Radulae müssen "glitzern") und lege sie auf ein möglichst flaches Plateau.
(3)
Man nehme mit festem Griff einen Berg aus Gneis oder Granit (Minimum 5 Millionen Tonnen) und zerreibe darunter die Schnecken. Ich persönlich verwende den nord-grönländischen Eisberg Gvansgnagnar, aber das ist nur eine persönliche Vorliebe. Gneis und Granit arbeiten ebenso gut. Man kann ja nicht erwarten, dass jeder Feinschmecker eine solche Menge Eis einfach so vor der Haustür lagert.
(4)
Man schabe den gut flüssigen Schleim in eine großzügig abgemessene Kasserolle und schockfriere diese bei –130 Grad Celsius.
Nach zehn Minuten die Kasserolle herausnehmen und servieren
Als Getränk empfehle ich einen wohl gekühlten 83'er Godthaber Nordhang.


DIE WITZSEITE -
Es regnet. Noah blickt von der Reling seiner Arche herab auf die vor dem Schiff am Strand versammelte gesamte Tierwelt. Hinter Noah sieht man noch einen kleinen Teil der riesigen Schwanzspitze der Midgardschlange aus dem Lagerraum hervorlugen.
Subtext: "Tut mir leid, für euch ist kein Platz mehr."

Odin sitzt wütend in einem kleinen Zelt an einem Tisch, auf dem eine Wahrsagekugel steht. Ihm gegenüber sitzt ein Wikinger in orientalischer Kleidung und starrt konzentriert in die Kugel.
Subtext: "Sie lügen!"

Newton marschiert beschwingt unter der Weltesche Yggdrasil. Ein Apfel von der Größe einer Kathedrale rast auf ihn zu. Subtitel: "Ich glaub, ich hab eine Idee!"

Ein Filmset, ein leerer Regiestuhl, auf dem der Name "Stanley Kubrick." Ein bärtiger Mann redet auf Thor ein. Im Hintergrund eine entnervte Crew und eine frierende Nackte auf einem Wikingerlager. Sprechblase: "You have to dance, Thor, to dance, not to stomp."
Subtext: "Der tausendste Take."

Ein gestresster Bräutigam, Zylinder auf dem Kopf, die verschleierte Braut auf dem Arm, versucht, hektisch rüttelnd, die Tür seines Hauses aufzusperren. Andere Häuser brennen, auf der Straße rasen Autos ineinander, Menschen laufen ziellos herum. Der Himmel explodiert. Mehrere Sprechblasen: "Ragnarök!" "Ragnarök!"

Odin steht auf einem Schiff und sieht durch ein Fernrohr aufs Meer hinaus. Mit seinem freien Auge linst er zu dem ziemlich genervt dreinblickenden Thor hinüber.
Subtext: "Das Ding scheint kaputt zu sein. Ich sehe nichts."


Uppsala-
In einem spannenden Wettbewerb errang Balder gestern Abend in der ausverkauften Stadthalle von Uppsala zum neunzig-tausendsten Mal den Titel des Mr. Gott. Der schöne Gott besiegte im Stechen Gullinborsti, den gülden-borstigen Eber, nachdem die beiden nach der regulären Ausscheidung punktegleich in Führung gelegen hatten. Nur Dritter wurde dieses Jahr Balders ewiger Rivale, der schlangenzüngige Loki. Loki kommentierte seine wiedermalige Niederlage mit der, wie jedes Jahr belachten, Prophezeiung, der Tag werde schon kommen,da er der Schönste sein werde.
Der Mr. Gott - Schönheitswettbewerb von Uppsala gilt traditionell als der bedeutendste Wettbewerb dieser Art in ganz Midgard, der Menschenwelt.


Die Gesellschaftsseite-
Thor, dieser immer-schlimme Hammer-Gott wurde verlässlichen Quellen zufolge gestern Abend auf einer supercoolen –40-Grad-Party auf der derzeitig absoluten In-Location, dem Zugspitzplatt in den Alpen gesichtet.
Offiziell heißt es, er habe dort einen diplomatischen Auftrag erfüllt, inoffiziell sagt man, es habe heftig gefunkt zwischen ihm und dem Mannweib Skadi, der Sohntochter des von den Asen höchstpersönlich beseitigten Thjazi. Bahnt sich hier eine Versöhnung zwischen Riesen und Göttern an?
Thor äußerte sich dazu in einem Interview mit bpa. Skadi sei eine gut aussehende Mannfrau, sagte er, die auch beim Steinlupfen ihren Mann stehe. Darüber hinaus besitze sie so viel Humor wie wenige und einen interessanten Charakter.
Walhall ließ in einer Pressemitteilung verlauten, die Riesen seien ein reizendes und gewichtiges Volk, und man versuche beiderseits, eventuell entstandene Missverständnisse auszuräumen. Die Zeichen stünden "eindeutig auf Versöhnung".        


Lögumkloster-
Gestern stürzte bei der Einweihung einer Metzgerei in Lögumkloster der blinde Verlierergott Höd schwer. Höd soll, so berichtet bpa, nach einer Einweihung ohne besondere Vorkommnisse, beim Verlassen der Festgesellschaft über eine herumliegende Holzschaufel gestolpert, gefallen und sich den rechten Oberschenkel gebrochen haben. Der umgehend herbeigerufene Rettungsdienst verschaffte den verletzten Gott per Hubschrauber ins Zentralklinikum Odense, wo er noch am Abend operiert wurde.
Ein Sprecher des Klinikums erklärte in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz gestern Abend, der Gott der Verlierer habe einen komplizierten Bruch im rechten Oberschenkelknochen erlitten, der in einer ohne Komplikationen verlaufenen Operation geschient worden sei. Der Zustand des Gottes sei stabil, es bestehe kein Grund zur Sorge, Höd müsse sich die nächsten Tage nur noch ein wenig erholen.
Ein Sprecher Walhalls erklärte gestern Abend auf Anfrage unserer Zeitung, man werde sich überlegen müssen, Höd in Zukunft vielleicht nur noch in "leichteren" Aufgabenbereichen einzusetzen. Näher zu erläutern, worin diese Aufgabenbereiche bestünden, erklärte der Sprecher sich nicht bereit.

Samstag, 23. Januar 2010

Eine Hängematte


Eine Hängematte, gespannt zwischen zwei 400 km voneinander entfernten, 80 km hohen Pfosten. Die Hängematte 60 cm breit, 14 km tief, wenn man darauf liegt, die ganze Konstruktion vollkommen instabil.

Die Katze neben der Motorsäge


Die Katze neben der Motorsäge; sie bezieht das Kreischen des Monstrums auf sich.

Donnerstag, 21. Januar 2010

Das Ziel ein Zustand, in dem


Das Ziel ein Zustand, in dem jede situative Veränderung, jede neue Wahrnehmung eine Erfrischung, eine Vertiefung der eigenen inspirierten/gehobenen Verfassung bedeutet - etwa in  der Art: Durch innere Einkehr, durch Selbstwerdung einen flow-artigen, einen "erhöhten" Zustand erlangen, und diesen Zustand, statt, wie üblich, in einem fort zu verlieren, und sei es ersatzweise auch nur in Form eines erhabenen, epikureischen Mittelmaßes, halten, festigen, immer weiter vertiefen zu können, usf.

Eine alte Studioaufnahme vielleicht


"Wenn meine Arbeit nur einen Arsch bewegt, wenn "Die Fackel" nur einem sündhaften Menschen in seiner Unzulänglichkeit ein schlechtes Gewissen gemacht, so hat mein Leben einen Sinn gehabt!"
Eine alte Studioaufnahme vielleicht. Karl Kraus in tragischer Pose, mit weißer Tunika, einer etwas zu groß geratenen Leier aus der Dekoration, feschen Sandaletten und Lorbeerkranz angetan, in der Manier der etwa 2 Milliarden Dichterinnen und Dichter, die da irgendwann einmal geschrieben haben: "Wenn meine Gedichte es schaffen, nur ein Herz zu bewegen, so hat mein Leben einen Sinn gehabt!":

Mittwoch, 20. Januar 2010

Der letzte Beluga

-->
Der letzte Beluga
(Ein Film für Kinder)

Der Belugawal, dieses schöne und weiße Tier, ist vom Aussterben bedroht. Dennoch gelingt es der Menschheit nicht, den Beluga nun endlich unter Schutz zu stellen. Erst vor ein paar Stunden haben Ole und Noriaki, die beiden bösen Walfänger, den letzten Beluga ausgemacht, und liegen ihm seitdem mit ihrem tuckernden Walfangkutter auf der Pelle.
Doch so schnell lässt sich der Beluga nicht unterkriegen. In diesem Moment zieht er gerade, nachdem er den Nord-Ostsee-Kanal im Eiltempo durchquert hat, eine schnelle Linkskurve und biegt von der Nordsee in die Elbe ein.
Während er den Fluss nun weiter hinaufschwimmt, erblickt er am Ufer hintereinander mehrere Szenen, die in ihrer Beschaulichkeit beinahe wie Stilleben wirken:
Als Erstes gewahrt er eine Gruppe grogtrinkender Matrosen und Flusskapitäne an einem kleinen Lagerfeuer, dann zwei Mädchen die mit höchster Konzentration aus Matsch und Dreck einen Kuchen backen, später ein nacktes Pärchen im Schilfgras, eine Rotte Jungs, die Fußball spielen (mit dem kommenden besten Fußballer Deutschlands in ihren Reihen, dem, der bei der WM in siebzehn Jahren alles wieder gutmachen wird), und schließlich ein altes Ehepaar, das schweigend auf einer Promenadenbank sitzt.
Die Frau auf der Bank füttert gleichmütig Spatzen, Finken, Meisen, Amseln und eine Handvoll riesiger Klontauben. Ihr Gatte daneben sieht in tiefster Betrachtung versunken auf die Elbe hinaus.
Der Mann kommt dem Beluga gleich sympathisch vor, und für einen Moment streckt der Wal zum fröhlichem Gruß seinen Kopf aus dem Wasser. Kurz winkt der Alte zurück, dann jedoch schüttelt er seinen Kopf und wendet den Blick resigniert seiner Frau und den Vögeln zu seinen Füßen zu.
Da tauchen in der Ferne schon wieder Ole und Noriaki mit ihrem tuckernden Walfänger auf, und der Beluga muss wieder los.
Weiter und weiter gelangt der Wal nun den Fluss hinauf, und immer stärker spürt er, wie ihn langsam die Kräfte verlassen. Währenddessen bleiben Ole und Noriaki ihm unausgesetzt auf den Fersen und lassen mit ihrem Walfangkutter, dem die Luft anscheinend nie ausgeht, nicht von ihm ab. So scheint es unausweichlich, dass es mit dem Beluga zu Ende geht.
Dann aber taucht vor ihm wie aus dem Nichts ein großer Palast auf. Die Elbkönigin wohnt dort mit ihrer wunderschönen Tochter, dem letzten Elbdelphin. Die Tochter und der Beluga sehen sich verblüffend ähnlich, und die Königin erklärt, sie seien Bruder und Schwester und füreinander bestimmt. Es wird Vermählung gehalten. Ole und Noriaki werden unterdessen von den Leuten der Königin getäuscht und scheinen abzuziehen.
Nach der rauschenden Vermählungsfeier führt die Königin Delphin und Beluga mit einer Fackel in der Hand in den schummrigen Keller des Palastes. Alte Specksteinschnitzereien sind dort zu sehen. Die Königin deutet dem Paar die Schnitzereien aus. Wenn Beluga und Elbdelphin sich vermählten, so sagt sie, dann sei es so weit. Die vorletzte Schnitzerei zeigt die Königin mit einer Dose in der Hand.
"Was ist das?" fragt der Beluga neugierig.
Plötzlich hält die Königin eine Dose derselben Art in der Hand.
"HP 23." erklärt sie. "Es ist ein Virus und toxischer Stoff, der die Atmung des Menschen innerhalb kürzester Zeit lähmt. Kein Mensch wird überleben."
Ole und Noriaki rücken gerade mit einer ganzen Flotte an, als die Leute der Königin das HP 23 aussetzen.
Die letzte Schnitzerei ist zu sehen. Sie zeigt die mit Hilfe der Dose anbrechende Herrschaft der Königin.

Montag, 18. Januar 2010

Lassie

-->

Lassie


Ein Hund läuft frohgemut übers weit hingestreckte Land, kreuzt Äcker und Wiesen und scheint in seinem Enthusiasmus kein besonderes Ziel zu verfolgen. Wild stürmt er in einen Wald hinein, stürmt nach zehn Minuten an einer anderen Stelle wieder heraus, und hastet den vorigen Weg zurück.
Der Hund trägt ein Halsband, hat also auch ein Frauchen. Was mit dem allerdings los ist, ist nicht bekannt. Es kann plötzlich verstorben sein, kann den Hund aber genauso gut auch aus Überdruss irgendwo ausgesetzt haben.
Der Hund kehrt an seinen vorherigen Ausgangspunkt zurück und nimmt, ohne sein Tempo zu verlangsamen, Kurs auf den nächsten Wald.
Es ist ein Lassiehund, wunderschön, das Fell wunderbar glänzend, die violette Zunge im Laufschritt herausbaumelnd, sein Blick aufmerksam, die Ohren gespitzt, die personifizierte Treue und Opferbereitschaft.
Jeder normale und mitfühlende Mensch projiziert in diesem Moment, da der Hund weiter wie blöd die Landschaft durchmisst, auf das Tier ein Gefühl unendlicher Einsamkeit.
"Wie kann jemand dieses Alleinsein nur ertragen?" denkt er sich, während sein Herz sich zusammenzieht. "Der arme Hund kann doch gar nichts dafür. Die Menschen sind schuld daran."
Was in dem Vieh aber wirklich vorgeht, weiß niemand. Atemlos hechelt es wieder über die Wiesen und Felder, gräbt plötzlich die Schnauze in den Boden, scheinbar einen Maulwurf oder ein Erdhörnchen suchend, und sieht einfach nur glücklich aus dabei.
Aber auch das ist wieder die gefühlsmäßige Projektion eines sentimentalen Humanoiden, und nichts außer der Tatsache, daß es eben gräbt, deutet darauf hin, dass diese Tätigkeit dem Tier irgendeine Freude, wenn es denn zu derlei Empfindung begabt ist, bereitet.
Ein Wirbel erfasst den Hund und trägt ihn viele Kilometer hoch in den Himmel. Zum ersten Mal in seinem Leben bekommt er einen Wald von oben zu sehen, dann größere Landgebiete, dann sogar die Küstenlinie eines Kontinents.
Was mag vorgehen in dem armen Tier? Ein Winsellaut entweicht seiner Kehle, tränenfeucht ist sein Blick. Wieder kann man nur die menschliche Angst vor dem Schmerz, dem Tod und der Einsamkeit in sein Äußeres projizieren, wiederum gibt diese Projektion aber keinen Anhalt darauf, daß das Tier etwas in dieser Richtung empfindet.
Also entschwindet der fliegende Hund unserem Blick, und nichts ist gewiss an dem Tier, bis auf seinen sicheren Tod, sobald der Wirbel ihn aus seinem stetig sich drehenden Luftstrom wieder entläßt.

Rehe am Sonntag

-->

 Rehe am Sonntag

Sonntagmorgen, neun Uhr. Ein Regentag. Leise rieselt das Nass vom hellgrauen Himmel und klopft auf die Dachziegel und –rinnen des Hauses, landet auf den Blättern und Gräsern des Obstgartens.
Zwei Rehe, eine Geiß und ihr Kitz, nutzen den Umstand, dass die Bewohner des abgelegenen Weilers noch schlafen an diesem Tag, treten lautlos aus einem der angrenzenden übermannshohen Maisfelder heraus und begeben sich friedsam auf Futtersuche.
Zu Anfang folgt das Kitz vorsichtig seiner Mutter durch das erst vor kurzem gemähte Gras. Dann schweift es, von plötzlicher Lust ergriffen, nach einigen Beeten hin, schnuppert an Karotten, Schnittlauch und einer Blumenrabatte, und kehrt, als es sieht, daß die Mutter sich ein wenig entfernt hat, mit raschen Stelzenschritten zu dieser zurück.
Endlich, an einem Zwetschgenbaum, wo der Boden übersät ist mit herumliegenden Zwetschgen, machen sie Halt und beginnen sogleich die Früchte mit großen Schlücken und schleckenden Mäulern aus dem nassen Gras aufzuessen.
Immer wieder einmal, auf ein Geräusch oder einen aufflatternden Vogel hin, oder auch nur zur Sicherheit, blickt eins der beiden dabei mit gespitzten Ohren auf, sieht und hört nichts von Bedeutung und wendet sich dann von Neuem den Zwetschgen zu.
Nach einer Weile hört der Regen mit einem Schlag auf. Der Himmel gerät in Bewegung, die Rehe schrecken hoch, wissen offenbar aber nicht, was sie tun sollen und ducken sich nieder ins Gras. Ein Großteil der Wolken wird von Westen her weggeschoben und löst sich dann in Windeseile vollkommen auf.
Fast die gesamte Westhälfte des Himmels strahlt jetzt in schönstem Azur. Heftigster Wind kommt auf. Es wird unerträglich heiß, die nassen Blätter des Zwetschgenbaums fangen Feuer, ebenso die wenigen Wespen, die sich bei dem feuchten Wetter an die Zwetschgen getraut haben, die Rehe springen, wie auf ein Signal hin, ihr braunes Fell inzwischen zischend und dampfend, in Richtung Maisfeld davon, auf der Westseite des Hauses öffnet jemand ruckartig ein Fenster, man kann aber nicht erkennen, wer dort hinaussieht, der Himmel wird gelb, wird zu einer Flamme, die sich wie ein Blitz über die Landschaft senkt, alle Spuren verwischt und nichts zurücklässt als wüste, verrauchende Erde.